Rezension

Eine Geschichte zum darin versinken

Der Distelfink
von Donna Tartt

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein bisschen fühle ich mich, als hätte ich eine kleine Bildungslücke geschlossen: Ich habe den Diestelfink gelesen. Endlich! Nachdem er bald vier Jahre um mich herumgeflattert ist.

Es ist unglaublich, wie Tartt Menschen, Gefühle, Stimmungen und Szenerien beschreibt. Dabei macht es keinen Unterschied ob die Person nett oder unsympathisch ist, ob es regnet oder die Sonne vom Himmel brennt, ob ein Ort heimelig ist oder heruntergekommen. Ich hatte Hobies traumhaft gemütliches Heim genauso vor Augen, wie Theos dreckiges Zimmer und die verlassenen, sandigen Straßen in Vegas. Den immer schmuddeligen Boris oder den porzellanteint von Mrs. Barbour. Wenn ich so darüber nachdenke, kann ich mir jeden Ort, an dem Theo gelebt hat noch genau vorstellen. Das macht Tartts Bücher für mich unglaublich lebendig! Mehr noch als die Geschichte die sie letztlich erzählt, ist das für mich das Besondere das ihre Romane ausmacht. Die Intensität ihrer Beschreibungen. Die Charaktere und Orte, die sie erschafft.

Natürlich sind auch die Geschichte und besonders ihr Hauptcharakter und Ich-Erzählers Theo sehr interessant: Zufällig und fernab von ihrer normalen Routine ist Theo mit seiner Mutter genau an dem Tag im Museum, an dem dort eine Bombe hochgeht. Seine Mutter überlebt den Anschlag nicht, doch Theo bleibt fast unverletzt. Trauer, Einsamkeit, Entwurzelung und Schuldgefühle machen dem 13-jährigen schwer zu schaffen. Und dann ist da noch die permanente Sorge um dieses Bild, das er eigentlich gar nicht besitzen dürfte...

Ich habe Theo unglaublich gerne begleitet. Ich habe mit ihm gelitten, gehofft und geträumt. Als Jugendlichen mochte ich ihn zwar fast ein bisschen lieber, als als Erwachsenen, dafür waren die Frauen in seinem Erwachsenenleben sehr interessant.

Die immer wiederkehrenden Ausflügen in die Kunstwelt und die Welt antiker Möbel haben mir sehr gefallen. Auch Tartts Sprache mag ich unheimlich gerne. Ausschweifend, aber klar und sachlich. Klug, teilweise sehr poetisch und bildhaft.
„In vorwurfsloser Stille vergrub er sich in seiner Arbeit, bog Furniere über Wasserdampf, drechselte Tischbeine, und seine zufriedene Versunkenheit stieg aus seiner Werkstatt nach oben und breitete sich im Haus aus wie die Wärme eines Holzofens im Winter.“ S. 523
Ich hätte mich vergraben können, in dieser Sprache, diesen Sätzen, diesem Gefühl!

Das Einzige, was ich bei Donna Tartt nicht richtig rund finde, sind die Enden. Da sind diese großartigen Geschichten – bei Eine geheime Geschichte ging es mir nämlich ähnlich – und gegen Ende laufen sie einfach so aus. Es plätschert ein bisschen vor sich hin. Es wird alles Nötige zu Ende erzählt und ein wenig reflektiert, aber für mich will es in dieser Form nicht richtig zu dieser bisher speziellen und aufwühlenden Geschichte passen. Das Schlimme ist: Ich wüsste nicht, wie man es besser machen könnte. Das Ende ist logisch, verständlich, realistisch. Aber mir fast schon zu banal, zu reflektiert. Dabei habe ich mir auf den letzten Seiten sogar die meisten Zitate markiert.

Dieses schwammige Etwas ist aber tatsächlich das einzige kleine bisschen, das ich am Buch zu kritisieren habe. Insgesamt hat mir Der Distelfink ausgesprochen gut gefallen. Theo ist ein großartiger ambivalenter Charakter und auch die anderen Figuren sind sehr gelungen und sehr einprägsam. Zwischendurch war ich regelrecht verliebt beim lesen. Ich wollte mir das Buch aufheben, so lange es geht. Dann wollte ich es wieder nicht weglegen, weil mich die Geschichte so gefangen genommen hat.

Für mich hatte Der Distelfink also ein etwas unpassendes Ende, aber den Weg zu diesem Ende habe ich geliebt! Wer Tartts Schreibstil kennt und mag, wird auch von diesem Buch begeistert sein. Wer ausschweifende Geschichten und ausgefeilte Charaktere mag und wer gerne viel Zeit in und mit einem Roman verbringt, der sollte hier auf jeden Fall zuschlagen!

Kommentare

LySch kommentierte am 26. November 2017 um 16:41

Minzi, endlich!! :) ♡ Ganz tolle Rezi, die deine Begeisterung trägt! Oh maaan, ich freu mich wie blöde auf diese Lektüre!! Du hast genau die Punkte aufgezeigt, die mich ebenfalls so faszinieren an Tartts Romanen und auch ein wundervolles Zitat eingebaut! *die Vorfreude steigt* :)