Rezension

Eine präszise Milieustudie Berlins im letzten Jahrhundert

Menschen neben dem Leben - Ulrich Alexander Boschwitz

Menschen neben dem Leben
von Ulrich Alexander Boschwitz

Bewertet mit 5 Sternen

Menschen neben dem Leben ist ein Roman, der bereits vor vielen Jahren geschrieben und veröffentlicht wurde. Im Jahr 1937 kam es in einer schwedischen Übersetzung auf den Markt. Der Autor Ulrich Alexander Boschwitz starb mit 27 Jahren als das Schiff auf dem er von Australien nach Deutschland reisen wollte, von einem deutschen Torpedo getroffen und versenkt wurde. Boschwitz war Jude und seit dem 12.07.2019 gibt es einen Stolperstein vor dem Haus seiner Familie in Berlin-Schmargendorf.

 

Im Klappentext steht ein Satz, den ich hier zitiere: „Wie durch ein Brennglas seziert der zu diesem Zeitpunkt gerade mal zweiundzwanzigjährige Autor das Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre.“ So sah ich das auch beim Lesen und die Charaktere sind tatsächlich äußerst lebendig beschrieben. Die Sprache ist einfach und so, dass sie wirklich in den Gassen Berlins aufgenommen wurde.

 

Menschen neben dem Leben beginnt mit Walter Schreiber, einem Gemüsehändler aus Berlin. Das Geschäft befindet sich im Keller und ein Mann kommt herein. Es ist Emil Fundholz, der auf der Suche nach einem Schlafplatz ist. Nach einigem Hin und Her einigen sich die beiden und für 1,50 Mark pro Woche darf Emil in dem feuchten, schimmeligen und muffigen Keller übernachten. Aber erst ab 22 Uhr und nur bis 8 Uhr am Morgen. Dass er nicht alleine kommt erzählt Schreiber erst, als die beiden handelseinig wurden. Er wird von Tönnchen begleitet. Einem Obdachlosen, der behindert ist und seit etlichen Monaten wie eine Klette an Fundholz hängt. Dass er den Spitznamen Tönnchen trägt, ist seinem Leibesumfang geschuldet.

 

Neben Tönnchen zählt Grissmann auch noch zu den Freunden Walters. Nicht alle Bettler Berlins waren Kriegsversehrte. Viele von ihnen waren auch arbeitslos, da zu der Zeit die Rationalisierung begann. Die Idee kam aus Amerika und auch Maschinen wurden von dort geliefert. Die ersetzten die menschliche Arbeitskraft und die Arbeitslosen wurden immer mehr. Unterstützung gab es kaum und jeder musste sehen, wo er bleibt. Die Politiker versprachen viel, hielten aber nur sehr wenig.

 

Der Roman fesselte mich von der ersten Seite an. Immer wieder sah ich die Bilder von Heinrich Zille vor Augen. So wie er sein Berlin der damaligen Zeit auf der Leinwand darstellte, so schaffte dies Herr Boschwitz mit seinem Schreiben. Neben den drei Freunden gibt es weitere Akteure, die sich immer mal wieder begegnen. Das Finale findet dann in einer Stammkneipe statt. Hier treffen sich die Menschen neben dem Leben und möchten nur für eine Weile ihren harten Alltag vergessen. Ein wunderbares Stück Literatur, welches von Peter Graf zum Glück entdeckt und herausgegeben wurde. Es erschien im Klett-Cotta-Verlag.

 

Noch ein Zitat aus dem Buch, welches mir sehr gut gefiel: Wer Gott vertraut und Bretter klaut, der hat im Herbst ne billige Laube. Das Cover zeigt Männer, die Karten spielen und andere, die ihnen dabei zuschauen. Auch hier lässt das Berlin der 20er Jahre grüßen.