Rezension

Harmonischer Dreiklang von Fakten, Handlung und Sprache

1794 - Niklas Natt Och Dag

1794
von Niklas Natt och Dag

Bewertet mit 5 Sternen

REZENSION – War schon sein vielfach ausgezeichnetes und bisher in 30 Ländern erschienenes Thriller-Debüt „1793“ einer der besten historischen Romane vergangener Jahre, so hat der schwedische Autor Niklas Natt och Dag (40) mit dem Folgeroman „1794“ etwas geschafft, was kaum einem Bestsellerautor gelingt: Der zweite Roman, kürzlich im Piper-Verlag erschienen, ist noch besser gelungen! Erneut begleiten wir den kriegsversehrten Häscher Jean Michael Cardell und die als Gastwirtstochter „adoptierte“ Anna Stina Knapp durch das Jahr im alten Stockholm. Auch dieser Folgeband ist wieder in vier Teile mit jeweils wechselnden Hauptfiguren gegliedert. Ihre Lebenswege treffen sich zum Schluss und führen zu einem überraschenden, aber schlüssigen Ergebnis. Zwar baut der zweite Band historisch und atmosphärisch auf dem Erstlingswerk auf, doch ist es nicht zwingend notwendig, den Vorgängerband unbedingt gelesen zu haben.

Wir befinden uns im Stockholm des Jahres 1794, also nur vier Jahre nach dem verlustreichen Krieg gegen Russland. Armut bis zum Elend und Brutalität beherrschen das Straßenbild, während die politische Situation nach dem Tod König Gustavs III. Unsicher ist und durch die europaweiten Auswirkungen der französischen Revolution noch unsicherer zu werden droht. Im Vorjahr hatte der von der Stockholmer Polizeikammer mit einer Mordermittlung beauftragte Cecil Winge den durch die brutalen Kriegserlebnisse und seine Handamputation verzweifelten, in den Suff abgerutschten Häscher Mikkel Cardell als Assistenten verpflichtet und seinem Leben damit einen Sinn gegeben. Doch nach erfolgreichem Auftragsabschluss und dem Tod des zum Freund gewordenen Winges ist Cardell erneut abgerutscht. Erst der Auftrag einer Bäuerin, die Umstände des grausamen Todes ihrer Tochter in deren Hochzeitsnacht zu untersuchen, gibt Cardell wieder neuen Mut. Er macht sich mit Winges jüngerem Bruder Emil an die Aufklärung dieses mysteriösen Falles, in deren Folge der Bräutigam, ein junger Landadliger, psychisch erkrankt im Hospital gelandet war.

In seinem zweiten Band hat der Autor seine akribische Sammlung historischer Fakten noch weiter ausgebaut: Wir erfahren viel über das koloniale Leben der Schweden auf der erst 1785 von den Franzosen übernommenen Antillen-Insel Saint-Barthélemy und den dort betriebenen Sklavenhandel, über das Elend lediger Mütter in Schweden und die Versorgung in Waisenhäusern, Hospitälern und Irrenhäusern. Doch auch das alltägliche Treiben auf den dreckigen Straßen oder in schmutzigen Wirtshäusern und Kaschemmen kommt nicht zu kurz. Nicht nur die nochmals erweiterte Faktenfülle fasziniert an „1794“, sondern auch die nachhaltig-beeindruckende Atmosphäre des Geschehens. Dies schafft der 40-jährige Autor durch einen ungewöhnlichen, der alten Zeit angepassten, dennoch nicht antiquierten Sprachstil, mit dem er seine Leser tief in die Szenerie hineinzieht. Deshalb ist der Erfolg dieser schwedischen Romanreihe im deutschsprachigen Raum nicht zuletzt der erfahrenen Übersetzerin Leena Flegler zu verdanken, der es auch diesmal wieder beispielhaft gelungen ist, die Sprachmelodie ins Deutsche zu übertragen. Die historischen Fakten, die spannende Handlung und der ungewöhnliche Sprachstil bilden wie schon in „1793“ so auch wieder in „1794“ einen derart harmonischen Dreiklang, dass auch dieser zweite Band um Mikkel Cardell zweifelsfrei ins Bücherregal eines jeden Liebhabers historischer Romane und/oder historischer Krimis gehört.