Rezension

Hut ab

Befreit - Tara Westover

Befreit
von Tara Westover

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist immer wieder toll, wenn man bereits viel Gutes über ein Buch gehört hat und dann feststellt, dass es wirklich gut ist! Wenn die Erwartungen nicht größer waren als die Geschichte, sondern von ihr noch in den Schatten gestellt wurden. So in Buch ist „Befreit“.

Tara Westover wächst im ländlichen Idaho auf. Ihre Familie lebt abgeschieden, der Vater arbeitet mit den älteren Brüdern auf seinem Schrottplatz, die Mutter stellt Kräutermischungen für alle Lebenslagen her. Das ist wichtig. Denn alle staatlichen Einrichtungen wie Ärzte, Schulen oder Ämter werden abgelehnt. Taras Vater steigert sich immer mehr in seinen mormonischen Glauben und einen Verfolgungswahn hinein, der ihn Waffen, Benzin, Wasser und Lebensmittel bunkern lässt um für den bevorstehenden Untergang der Welt vorbereitet zu sein. Ohne wirkliche Schulbildung ist die Weltsicht ihres Vaters für die Kinder Normalität. Sein Wort ist Gesetz.

Wie Tara es letztlich schafft aus dieser verfahrenen Situation herauszukommen, ist beeindruckend. Denn als sie ins Teenageralter kommt, wird es ungleich härter für sie. Ihr vorher liebevoller Bruder betrachtet ihren weiblichen Körper als Sünde, Frauen generell als schwach, bis sie schließlich selbst glaubt eine Hure zu sein, nur weil sie weiblich ist.

Teilweise ist es fast unerträglich zu lesen, wie verantwortungslos die Eltern sind, wie manipulativ und gewalttätig es in der Familie zugeht. Wie alles darauf hingebogen wird, dass es ins radikale Weltbild des Vaters passt, wie die gleichen Fehler eine Generation später wieder gemacht werden. Und bei alldem ist es erstaunlich, wie wenig wütend Tara Westover ihre Geschichte erzählt, wo man doch schon beim lesen vor Wut explodieren könnte. Wie verständnisvoll sie ist und wie wenig anklagend.

Auch den Zwiespalt sich zwischen Familie und Bildung entscheiden zu müssen beschreibt Westover hervorragend. Auch wenn vieles unglaublich falsch lief, ist es schließlich immer noch ihre Familie und es fällt ihr schwer im Abseits zu stehen, nur weil sie einen Blick in die Welt hinaus werfen möchte. Es ist ein langer harter Weg den sie gehen musste und vor dem ich nur größten Respekt haben kann. Als einzigen Kritikpunkt fallen mir die detalliert geschilderten und im seltensten Fall ärztlich behandelten Verletzungen auf, die die diversen Mitglieder der Familie ertragen mussten. Allein die Masse und das Ausmaß der Unfälle war unglaublich. Die Detailfülle hätte hier gerne etwas dezenter ausfallen dürfen.

Insagesamt „Befreit“ ist eine beeindruckende Biografie rund um Familie, Emanzipation, Stärke und Gewalt. Stellenweise liest sie sich wie ein Krimi, dann schafft es Westover wieder, ihre Gedanken und Gefühle in eine reflektierte und gut lesbare Form zu bringen. Eine Biografie die wütend und betroffen macht aber eben soviel Hoffnung weckt. Hut ab.