Rezension

Irrwege

Zwei fremde Leben - Frank Goldammer

Zwei fremde Leben
von Frank Goldammer

Bewertet mit 4 Sternen

März 1973 in Dresden. Ricarda, die Tochter von Chefarzt Raspe, entbindet. Doch ihr Kind überlebt nicht. Am selben Abend  bringt Thomas Rust seine Frau Heike mit vorzeitigen Wehen ins Krankenhaus. Er selbst darf nur zur Besuchszeit eintreten, weshalb er bis früh morgens frierend vor der Klinik herumlungert und ein Auto mit Berliner Kennzeichen wegfahren sieht. Als er von dem verstorbenen Baby hört, wird der Polizist, der sich selbst als Busfahrer ausgibt, hellhörig und beginnt zu recherchieren.

Auch Ricarda hat von Zwangsadoptionen gehört und verdächtigt ihren Vater, ihre Tochter weiterverkauft zu haben. Zwanzig Jahre lang kommt sie nicht zur Ruhe, überwirft sich mit den Eltern und zerstört ihre Ehe. Nach der Wende – die jüngere Tochter studiert im Westen – eröffnen sich ihr nochmal neue Möglichkeiten für die Suche nach der Wahrheit.

Claudia aus Berlin ist 16, als sie aus Jux und Tollerei versucht, 1989 über Ungarn in den Westen zu fliehen. Die Enttäuschung ihrer gutsituierten Eltern führt zur Offenbarung durch die Mutter, als sie von der Polizei nach Hause zurückgebracht wird: „Du bist adoptiert“,

Als Leser begleiten wir abwechselnd die Protagonisten, hoffen und leiden mit ihnen, um zum Schluss von der Wahrheit überrascht zu werden.

Sehr gut hat mir die Darstellung der Zustände in der DDR mit all den Problemen, die manche Menschen noch heute umtreiben, gefallen. Da stapeln sich beispielsweise die Glühbirnen auf dem Tisch des Hausmeisters: „Erst gibt‘s monatelang keine, dann bekommst Du 200 auf einmal und weißt nicht, wohin damit.“ Die herrschende Wohnungsnot in Dresden führte noch 1973 dazu, dass sich zwei Parteien eine Wohnung teilten. Die Empfindlichkeiten zwischen Ost und West, die teilweise noch heute thematisiert werden, sind ebenso wenig ausgeklammert wie die menschenverachtende Berichterstattung der Bildzeitung. Und wer es noch nicht weiß, kann sich schlau machen, was es mit den Abkürzungen MfS, KaKo und IM auf sich hat.

Fazit: Goldammer hat nicht nur einen interessanten Krimi geschrieben, sondern gleichzeitig Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Geschichte von Ost- und Westdeutschland aufgezeigt.