Rezension

Spannendes Drama mit historischem Hintergrund

Zwei fremde Leben - Frank Goldammer

Zwei fremde Leben
von Frank Goldammer

Bewertet mit 4 Sternen

Lebenslange Suche nach der Wahrheit

„Sie war wieder dort, wo sie mal angefangen hatte. Und sie konnte nicht einmal dankbar sein für die letzten zwei Jahrzehnte, in denen alles gut gewesen zu sein schien. Denn sie waren ein einziger Betrug, eine Lüge, nichts als eine Verschwörung gegen sie.“

Inhalt

Im März 1973 entbindet die junge Ricarda Raspe ihr erstes Kind im Dresdner Frauenklinikum, doch nach Komplikationen während der Geburt teilt man ihr mit, ihr Neugeborenes wäre verstorben. Ricarda ist fassungslos, hat sie das Baby doch nicht einmal gesehen. Keiner will ihr glauben, als sie vermutet, ihr Kind wurde weggebracht – alle möchten sie beruhigen und von der Richtigkeit des Geschehens überzeugen. Nur Thomas Rust, ein Polizist, der in der Entbindungsnacht zufällig Zeuge einer seltsamen Nacht- und Nebelaktion hinter dem Krankenhaus wird, vermutet ein ähnliches illegales Vorkommnis wie Ricarda. Er folgt der Spur bis nach Berlin, muss aber mit Schrecken feststellen, das die involvierten Regierungskreise hohe Mauern errichtet haben und er selbst ins Fadenkreuz der Stasi gerät, weil er sich nicht stillschweigend mit den Gegebenheiten abfinden will. Erst viele Jahre nach dem Ende der DDR gelingt es sowohl Ricarda als auch Thomas Rust, die gut gehüteten Staatsgeheimnisse aufzudecken und endlich die Möglichkeit zu bekommen, alle Wahrheiten ans Tageslicht zu bringen …

Meinung

Dies war mein erster Roman aus der Feder des Dresdner Autors Frank Goldammer, der sich bereits mit seinen historischen Krimis um den Ermittler Max Heller einen Namen gemacht hat. In seinem aktuellen Buch widmet er sich den ominösen Machenschaften der DDR-Regierung rund um die Problematik staatlich organisierter Kindesentführungen und Zwangsadoptionen. Besonders spannend in diesem Zusammenhang ist die traurige Mutmaßung, das genau solche Vorfälle tatsächlich stattgefunden haben könnten, selbst wenn dazu die Beweise fehlen.

Sehr glaubwürdig erscheint auch Ricardas Spießrutenlauf von einer öffentlichen Stelle zur nächsten, die dennoch immer wieder im Nichts verläuft, zum einen weil man ihr nicht helfen kann oder will und zum anderen weil sie selbst so wenig Material in den Händen hält. Darüber hinaus zerbricht auch ihr familiäres Netz, denn ihre zweite Tochter fühlt sich nur als Lückenbüßerin, ihr Mann bringt kein Verständnis für ihre Odyssee auf und mit den Eltern ist sie schon lange zerstritten, denn ihr Vater war zu jener Zeit der praktizierende Oberarzt im Klinikum und erscheint ihr als die Spitze der Verschwörung, weil er sie schon viel zu oft belogen hat und über nichts die Wahrheit sagt.

Inhaltlich bietet dieses Buch eine Menge Unterhaltungswert und wirkt stellenweise wie ein Kriminalroman. Gerade die Perspektivenvielfalt, die durch diverse Erzähler und unterschiedliche Zeitebenen unterstützt wird, fördert das Lesevergnügen. Ebenso ansprechend wirkt die realistische Einschätzung der Lebensumstände innerhalb der DDR, in der Vergünstigungen immer dann zugänglich waren, wenn der Einzelne dafür bereit war, seine nächsten Freunde und Verwandten im Sinne des Staates zu kontrollieren und notfalls zu verraten. Die ursprünglichen Beweggründe für die Etablierung des Staates gerieten viel zu schnell ins Hintertreffen und wurden von Menschen verraten, die immer nur den eigenen Vorteil im Visier hatten.

Ein kleiner Kritikpunkt meinerseits ist die alltägliche Sprache, die den literarischen Anspruch des Buches etwas herabsetzt, obwohl dadurch auch die emotionale Ebene zwischen dem Leser und den Protagonisten gefördert wird. Etwas irritiert hat mich außerdem der Auftritt von Claudia, der erst sehr spät erfolgt und dann irgendwie zu aufgesetzt und dramatisch wirkt: Eine junge Frau, die verzweifelt ihre Mutter sucht und durch eine Schlagzeile in der BILD-Zeitung plötzlich Parallelen zwischen sich selbst und Ricardas Kindesverlust zieht.

Fazit

Ich vergebe 4 gute Lesesterne für diesen Unterhaltungsroman, der gerade für jene Menschen interessant sein dürfte, die selbst mit dem Leben in der DDR vertraut waren und sich hier zurückversetzt fühlen in eine Zeit, in der erkauftes Schweigen und angeordnetes Bespitzeln an der Tagesordnung waren. Der flüssige, fast kriminalistische Stil lässt die Figuren lebendig werden und erzeugt Kopfkino. Kleine Abstriche in der Umsetzung kann man getrost ignorieren, weil das Gesamtpaket sehr ansprechend wirkt. Von mir gibt es eine Leseempfehlung und ich bin jetzt neugierig auf Frank Goldammers Krimireihe geworden.