Rezension

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Schöne neue Welt light - fast so oberflächlich wie Generation-Social Media

White Maze - June Perry

White Maze
von June Perry

Die Beurteilung zu "White Maze. Du bist längst mittendrin" und damit der Titel zu dieser Rezension mag provokant und etwas pauschal sein. Doch so wie es in unserer tendenziell nur noch auf den äußeren Schein ausgerichteten Gesellschaft noch Lichtblicke von Echtheit gibt, so hat auch June Perrys Roman seine Momente, aber leider heißt es auch hier: Die Verpackung verspricht mehr, als der Inhalt einlösen kann.

Und dabei hapert es eigentlich schon an der Verpackung! Die Idee eines transparanten Schutzumschlages, der die Realiät quasi verschleiert, sowie der Chip samt Schatlkreis sind perfekt auf den Klappentext abgestimmt, die lila Farbgebung, die abgedeuteten Flammen (?) und das goldene Herz hingegen lassen bei einem längeren Blick Böses erahnen.
Aber wie wir gelernt haben: Auf die inneren Werte kommt es an! und so stürzt sich der Leser beherzt, alle Warnungen ignorierend, in Vivians virtuelle Welt --- oder auch nicht. Denn vorläufig bekommt der Leser erst einmal nicht viel mehr geboten, als einen Eindruck des typisch amerikanisch-kalifornischen, dauerhaft sonnigen Luxuslebens der verwöhnten, permanent vernetzten 16-jährigen Vivian Tallert. Sie schwänzt hin und wieder die Schule, hängt am Strand mit ihren beiden Freundinnen ab, macht Party und nimmt und gönnt sich auch sonst alles, was das Mädchenherz, das schlicht keine Grenzen kennt, begehrt. Und wenn dann auch die Realität nicht mehr reicht, gibt es einen kleinen Abstecher in die virtuelle bzw. erweiterte Realität, dann werden nebenbei mal eben ein paar Kobolde geärgert, aber bitte nicht falsch verstehn: offline ist man nie. Nicht einmal mehr bei den Mathearbeiten - Linsen sei Dank! Das ärgerliche ist nur, dass all das nur theoretisch beschrieben und nicht mit Vivian zusammen erlebt wird. So bleibt bereits von Anfang an Vivian sowie ihre Welt ein wenig abstrakt und verschlossen. Leider ist der schnelle Ablauf des Geschehens da auch nicht sonderlich hilfreich. Auf gefühlten 50 Seiten wird nicht nur die Protagonistin, ihr Leben, eine technisch dezent weitere Gesellschaft vorgestellt, sondern auch die Ermordnung ihrer Mutter abgehandelt, Vivians Trauer, mit der sie mutterseelenallein in die große weite Welt entlassen wird sowie die 180° Wende - da soll man dann noch am Ball bleiben. Immerhin wird Vivian danach etwas sympathischer, der erzwungene Jugendslang wird abgelegt und ihre Freunde, die vorher eigentlich schon keine Rolle gespielt haben, abgeschossen. Dafür sucht sie sich schnurstraks einen Techniknerd und - als wären die Warnhinweise nicht deutlich genug auf dem Cover angebracht worden - stolpert geradewegs in eine ganz umständliche Liebesgeschichte. Und während man als Leser die ganze Zeit darauf wartet, dass sich Vivian nun endlich in das tödliche Spiel einloggt und die Welt rettet, geht sie doch tatsächlich erst einmal offline und verliert sich hilflos in der Realität. Und so stolpert sie von einer großen Unbeholfenheit in die nächste und von Fragezeichen zu Fragezeichen, denn plötzlich kann man digital nicht mehr auf Basiswissen, Kontakte oder überhaupt das Konto zugreifen. Die Realität wird quasi Vivians ganz persönliches Gefängnis. Gott sei Dank ist Tom da, der ihr die schönen Seiten des echten Lebens zeigt. Wie war das nochmal mit der schönen neuen (tödlichen) Welt? Ach ja! Da war ja noch Prepender, der Schurke, der die gesamte Menschheit in seiner virtuellen Welt zu ihrem Glück zwingen will. So abstrakt wie die virtuelle Welt bleibt, bleibt es auch Prepender und seine Motive sowie sein Ziel. Er tötet um Hass und Krieg auszumerzen? Klingt einleuchtend. Und so fragt man sich am Ende schon gar nicht mehr: Wie soll ich mir das eigentlich in der Realität vorstellen? (das ist zugegeben auch eine blöde Frage, wenn man sich gedanklich schon auf so ein Thema einlässt, sollte man nicht nach den technischen realen Umsetzungsmöglichkeiten fragen, sondern sich wirklich einfach darauf einlassen!), sondern nur noch: Wenn Prepender so ein Crack ist, dass er nicht nur das Spiel kontrolliert, sondern auch noch die Programmiererin fast austrickst, wieso geht er nicht einfach zur Konkurrenz?

Bei all der Kritik noch ein Lob am Ende: Der Roman hat definitiv seine Momente. Die Idee ist grundsätzlich gut, nur leider scheitert es an der gefühlt überstürzten Umsetzung. Dennoch demonstriert er auf eine ganz unaufgeregte Art und Weise, wie abhängig die Kids von heute von modernen Techniken sind und hinterfragt das Ausmaß: Was ist, wenn uns die virtuelle Welt besser gefällt, als die echte? Man gewinnt beim Lesen durchaus ein Gefühl dafür, wie es sein muss, wenn eine Flucht zum Ausweg wird und man sich in mehrfacher Hinsicht in etwas Unechtem verliert. Und auch wenn ich mich frage, ob die philosphischen Ausflüge für ein jüngeres Publikum nachvollziehbar sind, klingt die eindrückliche Frage: Wer bin ich, wenn ich nicht weiß, ob meine Erinnerungen, Gefühle und Gedanken, die mich ausmachen, echt sind? auch nach dem schließen des Buchdeckels noch in einem nach.