Rezension

Sprachlich brillant...

Die Kinder des Borgo Vecchio - Giosuè Calaciura

Die Kinder des Borgo Vecchio
von Giosuè Calaciura

Bewertet mit 3 Sternen

Irgendwo im Süden, im Herzen der Stadt, wo die Menschen arm sind und das Gesetz der Straße gilt: Hier wachsen Mimmo, Cristofaro und Celeste auf. Sie haben Träume und Hoffnungen, obwohl ihnen der kindliche Blick längst abhanden gekommen ist. Mimmos Vater, der Fleischer des Viertels, betrügt seine Kunden mit einer präparierten Waage. Cristofaros Vater, ein Trinker, schlägt seinen Sohn jeden Abend. Und Celestes Mutter Carmela, die Prostituierte des Viertels, schickt ihre Tochter auf den Balkon, wenn sie ihre Freier empfängt. Die drei Kinder haben ein Idol: Totò, Ganove, der besser schießt als jeder andere. Sie wollen so sein wie er, sie wissen nicht, dass auch Totò von einem anderen Leben träumt...

Selten lässt mich ein Roman derart zwiegespalten zurück. Ich nehme es dem Autor nicht übel, dass Gewalt und Brutalität sich durch die Erzählung winden und den Bewohnern des heruntergekommenen Stadtviertels gelegentlich die Luft zum Atmen nehmen. Denn das ist die Realität dieser Menschen, j eder arrangiert sich hier mit dem ihm zugewiesenen Schicksal, von Geburt an festgelegt und scheinbar ausweglos. Wer in diesem Viertel lebt, muss sich den Gegebenheiten anpassen - das lernen schon die Kleinen.

Ich finde es ganz im Gegenteil faszinierend, wie es Giosuè Calaciura gelingt, mit seiner bildhaften Sprache beinahe eine Poesie der Grausamkeit zu kreieren - der Schreibstil ist für mich eine große Stärke des Romans und konnte mich bis zum Ende begeistern. Doch bei aller Begeisterung und dem Schaffen einer sehr intensiven Atmosphähre, die gezeichnet ist von Resignation und Grauen, durchbrochen nur von kleinen Lichtblicken und zaghaften Hoffnungsfunken, erscheint die Schilderung der Szenerie auch vollkommen übertrieben, so dass manches gar ins Karrikaturhafte abgleitet.

Dies ist vom Autor sicher so gewollt und nicht am Ziel vorbeigeschossen, doch hört meine Zuversicht an dieser Stelle auch gleich wieder auf. Denn was der Autor wirklich gewollt hat, habe ich bis zum Schluss nicht verstanden. Ein irgendwie zeitloses Viertel einer nicht näher zu verortenden Stadt am Meer hat er gezeichnet, verhaftet dabei aber nicht in der Realität, sondern lässt immer wieder auch surreale Szenen einfließen, die sprachlich durchaus außergewöhnlich sind, mir aber die Botschaft dahinter nicht preisgaben.

Überhaupt haben mich viele Bilder, Metaphern und Andeutungen einerseits fasziniert, andererseits aber auch ratlos zurückgelassen. Anspielungen auf die Bibel und die christliche Religion, den naiven Glauben und die Bigotterie durchziehen die Erzählung und lassen eine Symbolik erahnen, die mich beim Lesen überforderte. Das Ganze wirkt wie eine sprachlich brillante Parabel, deren Bedeutung sich mir leider nicht wirklich erschloss. Und das ist es, was ich übelnehme - ich habe von einer vielschichtigen Erzählung nur die oberste Fassade gesehen, die anderen Schichten zwar erahnt, doch leider nur bruchstückhaft wahrgenommen.

In der Leserunde zu dem Roman kam es zu lebhaften Diskussionen mit diversen Interpretationsansätzen, die mich teilweise staunen ließen. Staunen auch darüber, wie verschieden man einen Roman lesen kann. Doch die geschilderte Ratlosigkeit erfasste letztlich jeden Teilnehmer der Runde, und bei aller Faszination über den Schreibstil bleibt für mich das Fazit:

Ich hätte gerne mehr und tiefer verstanden...
 

© Parden
 

Kommentare

wandagreen kommentierte am 06. August 2019 um 09:03

Es ist keine Karrikatur, sondern eine märchenhafte Überzeichnung. Höchst genial. Aber man muss es nicht mögen.