Rezension

Über die Einsamkeit

Alles okay - Nina LaCour

Alles okay
von Nina LaCour

Bewertet mit 3.5 Sternen

Alles okay

Marin ist tausende Kilometer geflohen, um ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Keine lauen kalifornischen Sommer mehr, kein Meer, nichts, das sie an die ersten 18 Jahre ihres Lebens erinnern könnte. Doch selbst im weihnachtlichen Upstate New York ist sie vor ihrer Vergangenheit nicht sicher, als auf einmal ihre alte Freundin Mabel vor der Tür des Wohnheims steht – und mit ihr kommen all die Erinnerungen zurück, an die Marin niemals mehr denken wollte.

 

Meine Meinung

Alles okay ist zuerst augenscheinlich nur ein Buch für zwischendurch – mit seinen knapp 200 Seiten ist es das kürzeste Buch, das ich außer der Schullektüre in den letzten Jahren in den Händen hatte. Platziert im weihnachtlichen Staat New York passt es auch anscheinend nicht in den sommerlichen Lesestoff, den man sich am Strand zu lesen wünscht.

Aber keine der beiden Annahmen sind richtig, wenn man sich auf das Buch einlässt und in der richtigen Stimmung zu fassen bekommt – denn meiner Meinung nach, entfaltet sich das Potenzial erst in der Dunkelheit, wenn man sich auf Marin einlässt und wenn man versteht, dass sie genau das ausspricht, vor dem sich jeder von uns fürchtet.

Beginnen wir allerdings erst einmal mit dem Schreibstil. Über ihn gab es am Anfang nicht viel zu berichten, er war einfach und locker, sehr schön, aber nichts, was hervorstechen würde. Aber sobald auch die Geschichte an Fahrt aufnahm und ich mich deutlich besser in Marins Lage hineinversetzen konnte, wurde auch der Schreibstil einzigartig. Nina LaCour, die Autorin, versteht sich in einer Präzision darauf, die richtigen Wörter für die passenden Emotionen zu finden, die mich verblüffte und ein wenig neidisch machte. Manchmal war nur ein Satz, gar das richtige Wort nötig, um mich vom Hocker zu hauen – und sie hat genau diese Meisterschaft mit Bravour bestanden.

Bei einer Handlung von 200 Seiten ist man als Leser erst einmal etwas skeptisch, vor allem wenn man ein eher schweres Thema erwartet. Am Anfang hatte ich auch so meine Probleme, in die Geschichte herein zu finden. Marin war zwar eine angenehme Protagonistin, aber man bekam am Anfang nicht viel von ihr mit, da sie sich sehr von ihrer Vergangenheit abzuschirmen versuchte. Mit Mabel zusammen wurde immer wieder auf ein einschneidendes Ereignis hingedeutet, aber es erklärte mir nicht Marins Gefühle, wodurch ich mich nicht sofort mit ihr identifizieren konnte. Die Geschichte plätscherte ein wenig dahin, als die zwei Mädchen um einander herumschlichen, ohne wichtige Dinge zu besprechen – nur gelegentliche Kapitel, die den Sommer des Geschehens zeigten, machten deutlich, wie anders Marins Leben noch vor einem halben Jahr gewesen war.

Nach etwas 100 Seiten allerdings, als Marins altes Leben immer mehr zu wackeln schien, erwischte mich das Buch in der richtigen Stimmung und entfaltete sein ganzes Potenzial. Nina LaCour sprach in mir etwas an, das ich schon lange als eine meiner eigenen größten Ängste gesehen hatte und legte Marin Worte in den Mund, die in mir selbst etwas zum Schwingen brachten. Marins größtes Problem, ist nämlich die tief sitzende Einsamkeit, die sie schon ihr ganzes Leben befällt. Mit der schneidenden Präzision, die ich bereits erwähnt habe, schaffte sie es dieses Thema so gut anzuschneiden und mich mit der Geschichte so zu berühren, dass ich zeitweise komplett in Tränen aufgelöst war. Ich fühlte mit ihr und konnte ihre Gedankengänge auf einmal viel besser verstehen. Noch jetzt, Tage nachdem ich das Buch beendet habe, würde ich meine Nase gerne noch einmal in den Roman versenken und Ninas Worten lauschen.

Am Ende waren es aber leider doch nur 200 Seiten an Buch und so schön die zweite Hälfte auch war, kam das Ende viel zu kurz. Marins und Mabels Beziehung kam mir in dem ganzen Rückblick etwas zu kurz, sodass ich leider mit ihnen wenig mitfiebern konnte und auch Marins Wandel am Ende war dadurch schwer verständlich. Letztendlich hat Nina LaCour in meinen Augen das Thema wunderbar angesprochen, aber weniger gut verarbeitet. Da ging so viel Potenzial verloren, dass ich die Autorin am liebsten schütteln würde!

 

Fazit

Trotz des winterlichen Settings ist das Buch eine wahre Sommerlektüre mit Tiefgang, die mich in der zweiten Hälfte wunderbar berühren konnte. Mit ein paar Seiten mehr hätte die Autorin allerdings die Beziehungen der Charaktere deutlich verbessern und das Thema viel schöner verarbeiten können – ganz davon abgesehen, dass ich auch den Titel des Buches verändert hätte. Alles in allem gebe ich aber eine klar Empfehlung an die Leute ab, die sich nicht von einem kürzeren, aber emotionalen Buch abschrecken lassen und am Ende das Thema lieber selbst reflektieren wollen!