Rezension

Zugunsten besserer Vermarktbarkeit auf höhere Weihen verzichtet

Bittere Lügen - Karen Perry

Bittere Lügen
von Karen Perry

Bewertet mit 3.5 Sternen

Robin und Harry haben die Reißleine gezogen und sind als Künsterpaar nach Tanger, Marokko, gegangen. „Wegen des Lichts“, sagt Harry enthusiastisch und lebt auf in jenen heissen Tagen ihres Lebens, sowohl künstlerisch wie menschlich auf seinem Höhepunkt. Harry ist kein einfacher Charakter, doch seine Energie und sein Ungestüm, das er ins Leben, vornehmlich in seine Kunst steckt, und die Unbedingtheit, die er in seine Liebe zu Robin legt, haben Robin umgehauen und trotz der Warnungen der Eltern wagt auch Robin den Sprung ins Unbekannte.

Es lässt sich alles gut an, das Einleben in Tanger ist aufgrund der Künstlerszene und der Arbeit Robins, sie jobt noch in einer Bar, alles andere als spiessig, jede Menge „Typen“ lungern herum und hängen mit ihnen ab. Aber Robin ist doch konservativer als sie dachte und anders als Harry befriedigt sie die Szene nicht in gleichem Maße. Da wird sie schwanger. Das Kind, Dillon, bringt die Dinge ins Gleichgewicht, zumindest für Robin, während für Harry als Vollblutkünstler natürlich nicht alles rund läuft. Aber auch ihm geht die Vaterschaft unter die Haut, ins Blut. Und dann gibt es ein Erdbeben in Tanger und Harry gerät aus dem Takt.

Bittere Lügen lässt sich leicht lesen. Ich mag es ausserdem, wenn ein Buch auch äusserlich gut aufgemacht ist, es fasst sich so gut an und sein blaues Cover haut mich um. Hey, hey, es ist nicht immer so, dass, wenn ich das Äussere rühme, das Innere nicht stand halten könnte. Es kann. Richtiger - es hätte durchaus können.

Die Elternschaft steht im Mittelpunkt: sowohl aus Sicht der Mutter wie auch aus Sicht des Vaters wird erzählt. Das Leben spielt sich jetzt in Irland, Dublin, ab. Kann man es Leben nennen? Aus Harrys Sicht ist es mehr eine Art von Existieren. Er hat den Verlust Dillons nicht verkraftet und hatte schon einmal einen psychischen Zusammenbruch, der ihn zeitweise in die Klappse brachte. Während Robin tapfer versucht, eine Zukunft ins Auge zu fassen.

Die Morbidität der Persönlickeit Harrys ist nicht immer einfach zu ertragen. Von Kapitel zu Kapitel scheint er mehr zu verfallen bzw. sich zu demontieren. Die Verzweiflung dieses Paars, ihre Ohnmacht die Vergangenheit zu bewältigen, hat Karen Perry grossartig rübergebracht. Ein zum Teil bedrückendes Psychogramm des Paares und seiner Umwelt ist gelungen.

Da bricht der Roman auf der letzten Wegstrecke zusammen und gibt dem Verlangen des durchschnittlichens Lesers nach Sensation und Kitzel nach. Sehr schade. Denn der fulminate Schlussakord entspricht nicht dem Geist des sich langsam entwickelnden und fortschreitenden Romans, der mit so sorgfältigen Charakterzeichnungen eher als mit Spannung sich in Szene setzt und auch dadurch punktet.

Dass die Wahrheit ans Licht kommt: „Ja“. Aber alles, was danach passiert, ist nur noch reisserisch und unglaubwürdig. Warum diese Kraftanstrengung, den Leser in seiner Gier nach einem Knaller zu bedienen? Wäre die Autorin doch den Weg gegangen, eine normale Lösung zu erarbeiten, nachdem die Wahrheit ans Licht kam! Es hätten dann auch ruhig noch weitere hundert Seiten sein können. Das Bewältigen des Geschehens aller Beteiligten weiter darzustellen, wäre es wert gewesen.

Gerade der überraschende, rasante Schlussspurt der Autorin, der manche Leser eventuell mit der Langsamkeit dieses Buchs versöhnen wird, kostet dieses Buch den letzten Schliff, den es gebraucht hätte, um ganz nach oben zu schiessen.

Fazit: Der Versuchung zu erliegen, den durchschnittlichen Käufer in seiner Erwartungshaltung nach starken oder sogar billigen Effekten zu bedienen - so wie hier -, macht aus Literatur Dutzendware.