Rezension

Eiskalt erwischt

Und es schmilzt - Lize Spit

Und es schmilzt
von Lize Spit

Bewertet mit 5 Sternen

„…Wäre vor zwanzig Jahren eine dreißigjährige Version meiner selbst plötzlich aufgetaucht und hätte gesagt: Ich weiß, was passieren wird, mach, dass du wegkommst, dann hätte ich mich keinen Zentimeter bewegt. Dann wären T. und ich einfach sitzen geblieben, nicht, weil wir glücklich waren, sondern weil Dinge erst geschehen müssen, bevor man sie bereuen kann…“ (S.329)

Eva ist 14, als Ereignisse im Sommer 2002 ihr Leben für immer verändern. Ganz langsam und stetig wächst und entwickelt sich ein Bild geprägt von Mobbing, Demütigung, Erniedrigung, körperlicher und seelischer Misshandlung bis die Situation eskaliert.  Nach Jahren der Abwesenheit kehrt Eva in ihr Heimatdorf zurück, im Gepäck hat sie einen großen Eisblock.

Und es schmilzt ist ein Buch, bei dem es mir wirklich schwer fällt, eine Empfehlung abzugeben. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich während und nach dem Lesen ein so starkes psychisches und physisches Unwohlsein verspürt habe, wie bei diesem. Dabei  handelt es sich dabei nicht um irgendeinen Psychothriller mit Ekelfaktor, wovon ich generell eher die Finger lasse, sondern es ist in seiner ganzen Art so invasiv in seiner Grausamkeit.

Eva wächst mit ihren beiden Geschwistern in einem derart tristen Umfeld auf. Die Eltern, Alkoholiker,  begegnen einander nur mehr mit Niedertracht, den Kindern gegenüber gibt es kein bisschen Geborgenheit. Die jüngere Schwester scheint an einer Zwangsstörung zu leiden, es ist ein Wunder, dass der ältere Bruder sich nahezu normal entwickelt. Eva selbst ist eingebunden in eine selbstzerstörerische Gemeinschaft  mit zwei gleichaltrigen Jungen, alle drei sind sie die einzigen Kinder des Jahrgangs ‚88 und so zu einer wahrlichen Schicksalsgemeinschaft verschworen. Eigentlich gibt es in der Geschichte keinen einzigen positiven Moment. Bei  jedem Vertreter, der an die Tür kommt, hoffen die Kinder es kommt jemand um ihnen zu helfen. Die einzige Person, an die Eva sich werden könnte, muss schließlich jemand anderem gegenüber loyal bleiben.

Die Geschichte beginnt in der Gegenwart, die schauerlichen Ereignisse werden in vielen Rückblenden und Erinnerungen Evas geschildert. Dabei schlägt Eva oft einen gänzlich emotional unbeteiligten Ton an. Trotzdem lässt sich die gesamte Verzweiflung dieser Kindheit und Jugend spüren.

Lange Zeit fragt man sich auch, was denn Eva nun mit diesem Eisblock vorhat, bis es einen völlig kalt erwischt. Bei mir war dieser Punkt etwa ab der Hälfte des Buches erreicht, wo ich fürchtete zu wissen, was sie vorhat und ich hatte Recht. Es mach aber das Ende des Buches um nichts weniger erschütternder.

Lize Spit hat mit diesem Roman ein erzählerisches Meisterwerk vorgelegt, das wunderschöne Cover täuscht über den schmerzvollen Inhalt weg, das Originalcover ist wenn man das Buch schon gelesen hat umso schrecklicher.  Was „Het Nieuwsblad“ im Klappentext manchmal lustig findet hat sich mir nicht erschlossen. Mir war eher zum Heulen zu mute.