Rezension

Hätte spannender sein können...

Du hättest es wissen können - Jean Hanff Korelitz

Du hättest es wissen können
von Jean Hanff Korelitz

„Du hättest es wissen können“ ist der vierte Roman von Jean Hanff Korelitz. Ich bin auf das Buch durch das Cover aufmerksam geworden. Die farbliche Gestaltung wirkt sehr ansprechend. Allerdings sagt es so gut wie nichts über das Buch aus, außer dass die Geschichte in New York spielt. Wenn man schon das Bild weiter interpretiert, könnte man fantasieren und sagen, dass die dicken Wolken über der Stadt die sich nähernden Tragödie symbolisieren, die sich über die bisher glückliche Familie legt. Die Inhaltsangabe versprach ein sehr spannendes Buch, das ich unbedingt lesen wollte und es nicht bedauert habe.

Zum Inhalt:

Der Einstig in die Geschichte ist SEHR langsam und nach den ersten 35 Seiten (Kapitel 1) hatte ich überhaupt keine Lust, weiter zu lesen. Hier lernen wir Grace kennen, eine 40-jährige Familientherapeutin, die sehr erfolgreich in ihrem beruflichen und privaten Leben zu sein scheint. In Kürze soll ihr erstes Buch erscheinen, in dem sie den Lesern sagen will, dass man bei der Wahl der Lebenspartner auf eigene erste Eindrücke hören sollte, auf die innere Stimme und nicht sich selbst eine Geschichte konstruieren, die der Realität fern ist und die Beziehung letztendlich nicht retten kann. Sehr interessante und zugleich einfache Gedanken (allerdings wenig spannend). Und dann passiert in ihrem Leben genau das, wovor sie ihre Leser warnt: Sie versteht langsam, dass ihr Mann, Jonathan, gar nicht der ist, den sie sich in den 19 Jahren Ehe vorstellte. Sie hörte nicht auf die Warnungen ihrer besten Freundin, sie bemerkte nicht, wie sie sich von allen abgrenzte, die ihre Vorstellung von ihrem idealen Mann hätten beeinflussen können. Und dieser ideale Mann entpuppt sich als ein geistlich kranker Mensch, der eine Frau tötet, die sein Kind erwartete (nicht das einzige Kind, von dem Grace nichts wusste). Nun ist Jonathan spurlos verschwunden...
Grace flieht vor ihrem alten Leben und findet Zuflucht im Sommerhaus am See, das ihren Eltern gehört hatte. Zuerst isoliert sie sich völlig von der ganzen Welt, versteckt sich unter den Decken und will nichts mehr von dem wissen, was um sie herum passiert. Nur ihren Sohn will sie beschützen. Eine Frau, die der Leser sich am Anfang als eine starke Person vorstellt (sie ist ja Psychologin, eine Familientherapeutin, die es genau wissen sollte, wie man in Konfliktsituationen handeln sollte!) kann sich kaum beherrschen, erscheint sehr schwach und hilflos. Ihr 12-jähriger Sohn dagegen wirkt erwachsener und stärker als sie es dachte. Langsam kehrt Grace dann aber doch zurück ins Leben, trifft sich mit ihrer alten Freundin, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte (Vita war die, die sie von Jonathan gewarnt hatte). Sie fährt zu Jonathans Eltern, die sie nie kennen gelernt hatte. Sie glaubte an die Geschichte, die ihr Mann ihr erzählte, sie wären die schlimmsten Eltern der Welt. Hier erkennt sie, wie blind sie war. Alles, was sie von Jonathan wusste, stimmte nicht. Alles war nur eine Geschichte, die er ihr erzählte und die sie ohne Bedenken glaubte und für sich selbst glaubhafter machte. Nun lernt sie aber neue Menschen kennen, will eine neue Praxis eröffnen und vielleicht ihr Buch endlich veröffentlichen lassen.

Zum Buch:

Ich muss gestehen, für mich war es kein einfaches Buch. Nicht einfach in dem Sinne, dass ich mehrmals kurz davor war, es wegzulegen und mit dem Lesen aufzuhören. Die ersten 100 Seiten fand ich ziemlich langatmig. Aber ich wollte verstehen, was die vielen positiven Kritiken an sich hatten, die auszugsweise am Anfang des Buchs abgedruckt sind. Sie versprechen eine „fesselnde“ Geschichte, einen „Spannungsroman“, „unfassbar gut“. Dass das Buch gut geschrieben ist (was die Sprache betrifft), kann ich nicht bestreiten. Aber die Spannung, die man hier verspricht, findet man leider nur in einem kleinen Teil des Buchs. Und erst die letzten 150 Seiten erschienen mir wirklich lesenswert.

Fazit:

Dem Buch würde ich 3,5 Punkte von 5 vergeben. Leider hat es mir an Spannung in großen Teilen des Romans gefehlt. Ein wirklich kluger Roman, tief psychologisch und in seiner Idee sehr interessant. Ein Buch, das zeigt, wie sich auch sehr kluge Menschen irren und sich betrügen lassen. Nur wenn die Umsetzung der Idee etwas besser überlegt worden wäre. Vielleicht 100 Seiten kürzer, dafür aber spannender…