Rezension

Harte Männer + wilde Tiere = ungezügelte Jagd

Butcher's Crossing - John Williams

Butcher's Crossing
von John Williams

Bewertet mit 4 Sternen

Es war um 1870, als Will Andrews der Aussicht auf eine glänzende Karriere und Harvard den Rücken kehrt. Beflügelt von der Naturauffassung Ralph W. Emersons, sucht er im Westen nach einer »ursprünglichen Beziehung zur Natur«. In Butcher's Crossing, einem kleinen Städtchen in Kansas, am Rande von Nirgendwo, wimmelt es von rastlosen Männern, die das Abenteuer suchen und schnell verdientes Geld ebenso schnell wieder vergeuden. Einer von ihnen lockt Andrews mit Geschichten von riesigen Büffelherden, die, versteckt in einem entlegenen Tal tief in den Colorado Rockies, nur eingefangen werden müssten: Andrews schließt sich einer Expedition an, mit dem Ziel, die Tiere aufzuspüren. Die Reise ist aufreibend und strapaziös, aber am Ende erreichen die Männer einen Ort von paradiesischer Schönheit. Doch statt von Ehrfurcht werden sie von Gier ergriffen - und entfesseln eine Tragödie. Ein Roman darüber, wie man im Leben verliert und was man dabei gewinnt. (dtv-Verlagsseite)

Persönliche Meinung:
Ein Männerbuch - heißt: Es treten, abgesehen von ein paar käuflichen Damen, ausschließlich Männer auf. Ihr Geschäft ist das Jagen, der Handel, der Überlebenskampf. Sie messen sich aneinander, an ihrem Durchhaltevermögen, an der Natur.
Will Andrews scheint zunächst anders. Er sucht etwas, das ihm in seinem bisherigen Leben als behüteter Sohn und Harvard-Student fehlte. In der Natur, draußen in Wald und Feld würde er es finden, glaubt er. (Heute würde man ihm wahrscheinlich einen Selbstfindungstrip nachsagen.) 

Ein klassischer Abenteuerroman in der Tradition Jack Londons. Und gleichzeitig ganz anders. Spannung und Thema, die Auseinandersetzung mit der unwirtlichen Natur, dem Wetter und den Gefahren, ähneln einander. Aber Will Andrews ist ein besonderer Mann, einer, der mehr erwartet als das Überleben und die Versorgung mit Speis, Trank und Schlaf. 

Großartig, wie Williams die leeren Zeiten füllt, der weite Ritt ins „gelobte Land“, das acht Monate lange Warten auf das Frühjahr – es passiert fast nichts, und dennoch flacht die Spannung nicht ab. Was Will spürt, fühlt auch der Leser: Die sengende Sonne, die die Lippen verbrennt, und den ohnmächtigen Durst. Die sanften Böen um die Nase, das weiche Gras unter den Füßen und den Geruch von Holz und Erde. Aber auch die stechenden Eiskristalle des Blizzards, das grelle Schnee-Weiß, das die Augen verletzt, und die kalte Feuchtigkeit, die jede Faser durchdrängt und die Haut aufweicht.
Nach den Vorgaben des Autors könnte man Bilder malen, so detailreich, poetisch und atmosphärisch dicht beschreibt er Landschaft, Vegetation, Wetter.
Mit der gleichen Akribie zeichnet er das Äußere der Personen, ihre Gesichter, Hände, Bewegungen. 

Es wäre schön, wenn man einen Roman wie diesen als historischen Umstand lesen könnte. Dass es erstrebenswert scheint, wegen der Lust an der Jagd eine Tierart in ihrem heimatlichen Rückzugsgebiet auszurotten, empört den Leser der Gegenwart. – Ich verkneife mir, Parallelen aufzuzählen. - 

Will Andrews geht den umgekehrten Weg William Stoners. Hier der Student, der der Enge der Wissenschaft entflieht und die Konfrontation mit der Natur sucht; dort der Farmerjunge, der sich im Studium durchbeißt und in der Literatur zuhause wird. Warum der Autor wohl seinen beiden Protagonisten den eigenen Nachnamen als Vornamen gab? 

Der Übersetzer findet eine adäquate Sprache, nur eins kann man ihm ankreiden: Menschen, die monatelang unter extremsten Bedingungen zusammenleben und aufeinander angewiesen sind, sprechen sich nicht mehr mit „Sie“ an. 

Literarisch gesehen steht dieser Roman dem fünf Jahre später geschriebenen „Stoner“ in nichts nach; mir persönlich war die Figur des William Stoner jedoch näher als Will Andrews.