Rezension

Keine einfache Lektüre...

Nachruf auf den Mond - Nathan Filer

Nachruf auf den Mond
von Nathan Filer

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ich hatte mir gar keine Gedanken darüber gemacht, was für eine Art Buch "Nachruf auf den Mond" ist, hätte es aber eigentlich besser wissen müssen. Alles, was ich vor dem Lesen wusste, war, dass Matt Homes in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses ist und dort seine Geschichte aufschreibt, in der es vor allem um den Tod seines älteren Bruders Simon geht, der während eines Urlaubs starb, als Matt neun Jahre alt war. Ich hatte wohl eine Art Familiengeschichte erwartet und das ist es irgendwie auch, aber hauptsächlich ist es die Lebens- und Krankengeschichte eines 19-Jährigen, der an Schizophrenie leidet – und damit genau die Art Buch, die ich eigentlich nicht mag…

Der Leser begleitet Matt von dem schicksalhaften Urlaub an durch sein Leben. Man sieht, wie der Tod des älteren Sohnes die Familienstruktur zerstört und wie sich am Anfang vor allem die Mutter verändert, worunter Matt leiden muss. Dieser Teil hat mir am besten gefallen. Die Atmosphäre im Haus und Matts kindliches Unverständnis über das merkwürdige Verhalten seiner Mutter ist sehr einfühlsam erzählt und lässt sicher niemanden kalt.

Matts Problem ist nicht nur, dass Simons Platz in der Familie leer bleibt, sondern auch, dass er sich an Simons Tod die Schuld gibt. Der Leser erfährt allerdings erst ganz am Ende des Buches, was wirklich passiert ist.

Matt will Simon noch einen Wunsch erfüllen, den er nie bekommen hat, nämlich eine Ameisenfarm. Schon als Kind versucht er es erfolglos und als Jugendlicher verrennt er sich schließlich völlig in diese Idee. Seine Großmutter, die Erfahrung mit Schizophrenie hat, erkennt schnell, was mit ihm geschieht und sorgt dafür, dass er psychiatrische Hilfe bekommt.

Matt wird mal in der Tagesklinik behandelt, mal über längere Zeit im Krankenhaus. Die Beschreibung des Alltags in der Psychiatrie hat mir gezeigt, dass dort der normalste Mensch wahnsinnig werden würde, obwohl alle sehr menschlich und freundlich sind. Das wird mich wohl noch länger verfolgen und ich werde mir darüber Gedanken machen.

"Nachruf auf den Mond" ist wirklich keine einfache Lektüre, weder inhaltlich noch vom Aufbau mit seinen Zeitsprüngen. Aber der Autor, der früher Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik war, hat dafür gesorgt, dass ich mich in Matt hineinversetzen kann. Das war für mich bisher immer das Problem bei Büchern, in denen es um psychisch kranke Menschen geht, dass ich sie nicht verstanden habe und ihre Handlungsweise nicht nachvollziehen konnte. Bei Matt kann ich das und das macht dieses Buch so anders, und so beklemmend, ergreifend und aufwühlend.