Rezension

Riechen, schmecken, fühlen ..

Der Geschmack der Sehnsucht - Kim Thúy

Der Geschmack der Sehnsucht
von Kim Thúy

Ein Buch wie ein Lied, wie Musik, die noch lange nachklingt. Das habe ich beim Lesen dieses Romans empfunden und dieses Urteil hat auch noch nach dem Ende des Buches Bestand.

Män ist Kriegswaise, ein Opfer des Bürgerkriegs zwischen Nord- und Südvietnam. In den ersten Jahren ihres Lebens immer sehr kurzfristig weitergereicht von einer Frau zur anderen, findet sie schließlich bei ihrer „dritten Mutter“, einer Lehrerin, ein liebevolles Zuhause. In inniger Verbundenheit vermittelt ihr diese Mutter das Gefühl von Heimat und lässt sie sehr hautnah die eigene Kultur erleben. Sie lehrt ihre Tochter aber auch die Kunst der vietnamesischen Küche, vermittelt ihr das Wissen um die vielen Gewürze und Zubereitungsarten der Speisen. 
Doch um die  Sicherheit der Tochter zu gewährleisten, entscheidet sich die Mutter, Män an einen wesentlich älteren Mann, der nach Kanada ausgewandert ist, zu verheiraten.
Mäns Ehemann betreibt dort in Quebec eine kleine Suppenküche und die ersten Eindrücke ihrer neuen Heimat erfährt sie durch die kleine Luke in der Tür der Suppenküche, die ihr erste Blicke nach draußen ermöglichen.
Män entdeckt neu, was Kochkunst und die Sprache der Gewürze vermögen und verhilft dadurch nicht nur der Suppenküche des Mannes zu einer neuen Blüte, sondern erlangt selbst auch eine gewisse Berühmtheit.
Män gewinnt eine wirkliche Freundin und fasst durch diese Freundschaft den Mut, auch ein eigenständiges Leben an der Seite ihres Mannes zu führen.  Ihr Erfolg überwindet Grenzen, sie erfährt die Möglichkeiten des Reisens, lernt andere Menschen, andere Köche kennen. So auch Luc, einen Pariser Koch, an dessen Seite sie bei sehr wenigen Gelegenheiten entdeckt, es auch andere Gefühle zwischen Mann und Frau gibt, als sie das bislang in ihrer arrangierten Ehe auch nur erahnt hat.

Kim Thúy erzählt diese Geschichte auf dem Hintergrund eigener Erfahrungen und einer Sprache, die einen mehr als nur berührt. Wie bei Musik greift Eines ins Andere,  die Grenzen zwischen Erinnerung und jetzigem Erleben sind absolut fließend und bilden trotzdem eine innige Einheit und Verbundenheit. Beim Genießen dieser Sprache, die sicherlich auch einer großartigen Übersetzungsleistung zu danken ist, wurde ich immer wieder an wunderbare Musik erinnert.
Beethovens sechste „Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben“ hatte ich immer wieder im Sinn, aber auch aus der „Neunten“ die Ode an die Freude. Wobei hier die Textvorlage von Schiller sicherlich auch von Bedeutung ist. 

 „Der Geschmack der Sehnsucht“ ist ein ganz wunderbares Buch, das einen in eine fremde Welt entführt. Eine Welt der Düfte, des Geschmacks, der Empfindungen, und dem es ohne Anstrengung gelingt, die eigene reale Welt für die Zeit der Lektüre einfach auszuschalten.

Danke für dieses Leseerlebnis.