Rezension

Annie, eine tollkühne Frau mit unschlagbarem Charisma

Die Radfahrerin -

Die Radfahrerin
von Susanna Leonard

Erst kürzlich habe ich von Susanna Leonard die Romanbiographie ‚Dian Fossey - Die Forscherin‘ gelesen und war begeistert davon, wie brillant die Autorin den Stoff umgesetzt hat. In dieser Romanbiografie geht es um eine andere bemerkenswerte Frau, nämlich um die ‚Die Radfahrerin Annie Londonderry‘. Ich gebe zu, ich hatte vorher noch nichts von ihr gehört. Inzwischen weiß ich, Annie war die erste Frau, die mit dem Fahrrad die Welt umrundete.

Im ‚Bosten Tea Party Club‘ kommt es im April 1894 zu einem Disput zwischen Professor Dowe und dem Zuckerfabrikanten Samuel Thatcher. Thatcher spricht derart despektierlich von Frauen und reizt damit den guten Professor so sehr, dass der sich zu einer Wette hinreißen lässt. Es geht um 5.000 Dollar, die Professor Dowe daraufsetzt, dass es eine Frau schafft, mit dem Fahrrad die Welt zu umrunden.

Auf ein Inserat hin, meldet sich die gewitzte Annie. Sie lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern zusammen mit ihrem Bruder und seiner Familie auf engsten Raum im jüdischen Ghetto der Stadt. Das Einkommen ist knapp, so dass Annie abends Geschäfte abklappert, um Werbeanzeigen für Zeitungen zu ergattern, mit deren Einnahmen sie ihre Familie über Wasser hält. Annie nimmt die Wette an. Der Clou ist, Annie ist in ihrem ganzen Leben noch nie auf einem Fahrrad gesessen. Erschwerend kommt hinzu, dass an die Wette Bedingungen geknüpft sind. Sie darf nur eine Garnitur Wechselwäsche mit auf die Reise nehmen und ohne einen Dollar in der Tasche starten, jedoch mit 5.000 Dollar zurückkehren. Ganz schön heftig. Annie ist zu dem Zeitpunkt 22 Jahre alt.

Annie ist eine Protagonistin, die mir gefällt. Ich kann ihren Freiheitsdrang nachvollziehen, dass sie der Enge entfliehen will, aber auch, dass sie ihre Familie mit dem Geld absichern möchte, nicht zuletzt auch die Zweifel, die sie quälen, weil sie ihre Familie 15 Monate zurücklassen muss. Ein grausamer Zwiespalt.

Annies tollkühne Radreise ist ein Meilenstein im Kampf um die Rechte der Frauen um Gleichstellung. Männer sahen zu der Zeit in der Frau ein Mittelding zwischen Kind und Mann. Sie nahmen Frauen nicht ernst. Die Frauenbewegung steckte in ihren Anfängen. Feministinnen mahnten die Rechte an, die Männer ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen. Zu diesem Zeitpunkt besaßen Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht. So war die Radreise zugleich auch von gesellschaftlicher Bedeutung. Es galt die Frauenwürde zu verteidigen. ‚Es geht um mehr als nur um einen Rekord, es geht darum, der Welt zu beweisen, dass wir Frauen zu gleichen Leistungen fähig sind wie Männer.‘ (ZITAT)

Annie besaß das Talent, Menschen für sich zu gewinnen und zu begeistern. Sie, die mittellose Jüdin aus dem Ghetto, begegnete Adelige, Mächtige und Reiche auf ihrer Reise. Annie setzte gekonnt und manipulativ ihr Charisma ein, um Menschen um den Finger zu wickeln. Sie nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. Ihr Drang, sich ins positive Licht zu stellen, ließ sie Fakten übertrieben und ausschmücken oder gar erfinden. Und dennoch schaffte sie es, auch mich um den Finger zu wickeln.

Susanna Leonhard trifft den Ton dieser Zeit sehr gut. Sie schreibt leicht lesbar und flüssig. Man fühlt sich mitten im Geschehen. Die Autorin versteht es exzellent, den belegten historischen, wie auch den fiktiven Personen Leben einzuhauchen.

Fazit: Eine Romanbiographie, um eine bemerkenswerte und tollkühne Frau mit unschlagbarem Charisma. Super umgesetzt. Ein Pageturner.