Rezension

Die Frau, die nur mit ihrem Fahrrad die Welt umrundete

Die Radfahrerin -

Die Radfahrerin
von Susanna Leonard

Bewertet mit 5 Sternen

In einem Bostoner Herrenclub gehen im Jahr 1894 zwei Geschäftsmänner eine waghalsige Wette ein: Niemals würde eine Frau es schaffen, auf einem Fahrrad, mit nichts als Wechselunterwäsche und einem Revolver im Gepäck und ohne Geld, Geschenke und Spenden die Welt zu umrunden. Durch Zufall hört die 24jährige Anna Kopchovsky von dem ausgeschriebenen Preisgeld, und enttäuscht von ihrem gläubigen Ehemann Max, der mehr Zeit in der Synagoge als mit Geldverdienen verbringt um die drei KInder zu ernähren, der beengten Wohnsituation mit der Familie ihres Bruders und ihren Träumen von einem besseren Leben, beschließt sie, die Reise ins Ungewisse anzutreten. Gesponsort von einem Mineralwasserunternehmen, ändert sie ihren Namen in Annie Londonderry und erlebt viele Abenteuer, Lebensgefahren und die Liebe ....

Anhand der wahren Geschichte um die historisch belegte Anna Kopchovsky hat die Autorin Susanna Leonhard einen spannenden Abenteuerroman mit einigen fiktiven Elementen über eine starke Frau geschrieben: Annie, die von ihrem ärmlichen Leben erdrückt und von großen Träumen getrieben wird und trotz aller bestehenden Zweifel ein schier unvorstellbares Wagnis eingeht. Dabei versteht Susanne Leonhard, die Zerrissenheit der Hauptfigur, ihre Motive und ihren bemerkenswerten Mut zum Ausdruck zu bringen. Ihre Hauptfigur besticht durch Komplexität, Mehrdimensionaltität und Authentizität sowie durch ihre große Entwicklung im Laufe der Zeit. Aber auch die Nebenfiguren sind anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Gefallen hat mir auch, dass Annies Schwächen schonungslos aufgezeigt werden; insbesondere ihre Neigung, in eigener Sache zu lügen und wilde Geschichten zu erfinden.
Ob man Annies Handeln immer nachvollziehen kann? Ich finde, auch ohne es gutzuheißen: ja - auch, wenn es sicher eine harte Entscheidung war, ihre Kinder vorübergehend zu verlassen, was gerade ihre älteste Tochter Molly ihr niemals verzeihen konnte. Dieser Konflikt nimmt ebenfalls einen wichtigen Raum ein.

Interessanterweise ist die eigentliche Reise Annies nicht der alles überstrahlende Teil dieses Buches; gerade die Hintergründe und die Motive treten stark hervor, was ich zu schätzen wusste um mir ein umfassendes Bild dieser Person zu machen, auch, wenn ich durchaus gerne noch mehr von Annies Heldentaten gelesen hätte, so spannend fand ich die Geschichte von Anfang an - und doch kaum vorstellbar, wie eine junge Frau gerade auch in Asien dieses Experiment überstehen konnte!

Die Autorin schreibt so bildhaft, flüssig und spannend, dass ich das Buch in einem Rutsch gelesen habe.

Susanna Leonhard ist ein großartiger Roman über eine starke Frau gelungen, die trotz aller Widerstände ihren Weg geht und dabei die Rolle der Frau im endenden 19. Jahrhundert völlig neu schreibt. Wie sie - aus praktischen Erwägungen - Hosen trägt, sich einen Liebhaber gestattet, alleine reist, all dies ist zu der Zeit eigentlich undenkbar und dennoch tatsächlich geschehen.
Eher nebenbei zeichnet Leonhard ein Stück Zeitgeschichte und lässt ihre Leser einiges lernen.

Abgerundet wird der Roman durch ein Personenverzeichnis am Anfang und ein NAchwort, in dem die Autorin Fiktion und Wirklichkeit voneinander abgrenzt.

Mich hat dieses Buch in jeder Hinsicht begeistert (fünf Sterne) und ich wünsche mir mehr solcher Bücher über starke Frauen, die leider - oftmals zu Unrecht - in Vergessenheit geraten sind!