Rezension

Aufregen des Jahres

Die kurze Stunde der Frauen -

Die kurze Stunde der Frauen
von Miriam Gebhardt

Bewertet mit 1 Sternen

Als historische Analyse getarnt, schreibt Gebhardt uns hier einen extrem tendenziösen, thematisch willkürlich angelegten Langstreckenessay, der bei der lesenden Person die Wut mit jeder Seite mehr steigen ließ.

Das Buch „Die kurze Stunde der Frauen“ von Miriam Gebhardt hat schon jetzt, im Juni 2024, große Chancen bei mir, den Pokal „Aufreger des Jahres“ konkurrenzlos abzuräumen. Als historische Analyse getarnt, schreibt Gebhardt uns hier einen extrem tendenziösen, thematisch willkürlich angelegten Langstreckenessay, der bei der lesenden Person die Wut mit jeder Seite mehr steigen ließ. Gebhardt begeht dabei den Grundlagenfehler, weiblich gelesene Personen, denen sie zu Recht abspricht, emanzipiert zu sein oder überhaupt im Zeitalter der Emanzipation aktivistisch gewesen zu sein, unter der Lupe der emanzipierten und privilegierten Frau zu betrachten und mit diesen Maßstäben zu bewerten. Kurz und knapp gesagt: Merkste selber, oder? Dieses Unterfangen kann ja nur schief gehen. Ihre Grundprämisse, mit der sie den Mythos der „Trümmerfrau“ hinterfragen und aufheben möchte, ist dabei, dass eben diese Frauen ihre Aufgaben in der Nachkriegszeit ja nicht freiwillig, bewusst und aktiv absichtlich übernommen hätten, sondern vielmehr vollkommen erschöpft und traumatisiert aus der Notwendigkeit handelnd tätig wurden. So weit so partiell einleuchtend – nur schmälert das die Leistung dieser Generation ja nicht. Gebhardt hebt hervor, dass die Frauen dann auch zunehmend schnell wieder in die zweite Reihe zurückgetreten seien, sich also gar nichts geändert hätte. Nun, das ist natürlich sehr verwunderlich, dass sich eine seit Jahrhunderten patriarchal geprägte Gesellschaft nicht innerhalb von drei Jahren komplett neu strukturiert hat und ihre Wert- und Moralvorstellungen komplett neu entwickelt hat, wo das doch obendrein in allen Staaten drumherum – ach ja, genauso nicht passiert ist. 

Grundsätzlich ist der Ansatz, mehr Realität zeigen zu wollen, ein ehrenwerter. Nur warum muss zeitgleich eine ganze Generation von Frauen nicht entmystifiziert, sondern herabgewertet werden? Gebhardt schaut durchgehend durch den Filter einer These, die sie unbedingt beweisen möchte und wählt ihre Argumente zielgenau nur danach aus. Vieles andere lässt sie dann einfach weg. So geht Wissenschaft – nicht. Einer meiner Favoriten hier die Behauptung, dass es im Zuge von Kapitulation und Nachkriegszeit zu so viel sexualisierter Gewalt kam „wie sie sich bis heute und auch anderswo nicht wiederholt hat“. Die Datenbasis hier: Ein Schätzwert von Frau Gebhardt. Quelle: Eines ihrer anderen Bücher, der genaue Abschnitt wird inhaltlich nicht mitgeliefert. Chapeau! Und auch hier gilt: Niemand will kleinreden, dass diese Zeit für Frauen eine höchstgefährliche und traumatisierende war. Aber wenn wir in die vielen Kriege der Neuzeit schauen, mit beispielsweise Massenvergewaltigungslagern im Bosnienkrieg, wenn wir in Europa bleiben wollen, so ist diese These doch sehr fraglich. Sowieso wird sie nur herangezogen, damit Gebhardt zeigen kann, dass die Frau der Nachkriegszeit eben keine Heldin war, sondern eine traumatisierte Person, die nur ihre Überlebenskräfte angezapft hat. Das Kapitel über Gewalt zeigt dabei wunderbar die manipulative Struktur des Buches auf: Gebhardt schreibt darin erst einmal vier Seiten lang fröhlich los über diese Gewalt, um dann mitzuteilen, dass dieses Buch nicht der Ort sei, um über Massenvergewaltigungen zu schreiben – und danach zwölf weitere Seiten bei dem Thema zu bleiben. Die Informationen als solche sind nicht verkehrt, die Zusammenstellung ist jedoch in ihrer Auswahl extrem tendenziös, die Schlussfolgerungen reine Meinung. 

Gerne teilt Gebhardt auch Offensichtliches mit. Es gab aufrechte Nazis auch unter Frauen. Es gab Frauen mit Machthunger. Es gab Frauen, die sich am Nationalsozialismus bereichert haben. Wow!!! Das sind brandneue, bahnbrechende Erkenntnisse, gut, dass es endlich mal jemensch schreibt. Worüber sie gar nichts schreibt, nicht ein Wort in dem entsprechenden Kapitel: Wie viele Frauen im Widerstand tätig waren. Muss hier noch mehr gesagt werden?

Im weiteren Verlauf des Buches häufen sich Ungenauigkeiten, falsche Zahlen, Ungereimtheiten, Widersprüche (in Biographien), die Quellenarbeit bleibt durchgehend schlampig, wir wandern immer weiter Richtung Neuzeit und auch die Themenwahl der einzelnen Kapitel geht immer mehr am Hauptthema vorbei, on top ist Vieles lähmend redundant. Vielleicht hätte die Autorin besser ein Buch geschrieben „Frauen vom Kriegsende bis heute“ – oder eine kleinere Seitenzahl aushandeln sollen. Als habilitierte (!) Historikerin ist ihre Methodik einfach erschreckend, nichts gegen Populärwissenschaft, aber sauber arbeiten und schreiben: Darf mensch schon. 

Positiv hervorzuheben ist hier das gut gewählte Bildmaterial, welches einen gelungenen Einblick in die damalige Zeit gibt und sinnvoll eingebettet ist.

Fazit: Idee gut, Ausführung: Ein einziges Ärgernis. Schade um das Papier und die Zeit.