Rezension

Eine andere Geschichte der Frauen im Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit

Die kurze Stunde der Frauen -

Die kurze Stunde der Frauen
von Miriam Gebhardt

Bewertet mit 4 Sternen

Miriam Gebhardt zeichnet in - Die kurze Stunde der Frauen - die Rolle der Frauen im Nationalsozialismus sowie in den Nachkriegsjahren nach und stellt die Entwicklung der Frauenbewegung sowie Fortschritte und Rückschläge der Gleichstellung in beiden deutschen Teilstaaten in einen historischen Kontext. Dabei deckt sie mit geschichtswissenschaftlichem Blick und der Referenz zu aktueller Forschung auf, wie das Frauenbild im Nationalsozialismus, sowie in West- und Ostdeutschland ideologisch geprägt war und welche Auswirkungen dies auf die Lebensrealität und Lebenschancen der Frauen hatte und bis heute hat. Die Frau im Nationalsozialismus als passive, unpolitische Bürgerin widerlegt sie ebenso wie den Mythos der Trümmerfrauen. Wie kam es, dass die Frauen, nachdem sie im Krieg und den Nachkriegsjahren so viel geleistet haben, fast unmerklich wieder in die zweite Reihe gerückt sind, nachdem die Männer zurück waren? Hier zeigt die Autorin juristische, politische, kulturelle aber auch persönliche Gründe auf. Die Rolle als Macherin, die die Familie versorgt, entsprang oftmals eben keinem echten Emanzipationsbestreben, sondern der schlichten Notwendigkeit. 

Besonders wertvoll ist, neben der gelungenen Entmystifizierung ideologisch motivierter Narrative aus der Nachkriegszeit die ausgewogene Betrachtung der Frauenpolitik in Ost- und West in dem jeweiligen ideologischen Kontext. Gerade bei der Betrachtung der Gleichstellung in der DDR wird mitunter oft vernachlässigt, dass gerade auch im Privaten oft patriarchale Ideale persistierten, die Gleichberechtigung im Beruf, keine bzw. nur begrenzt eine Entsprechung im Haushalt fand und so letztlich zur Doppelbelastung für Frauen führte, wie es in der soziologischen Forschung mittlerweile gut aufgearbeitet wurde. Gebhardt geht auch darauf ein und zeigt zusätzlich auf, dass auch in Wirtschaft und Politik gerade Führungspositionen für Frauen schwerer zugänglich waren. Auch die Persistenz nationalsozialistischer Frauen- und Mutterideale und die juristische Privilegierung der bürgerlichen Idealfamilie in der BRD und damit legale Diskriminierung von Frauen arbeitet die Autorin heraus, mit allen Konsequenzen die dies für die Selbst- und Fremdperzeption der Frauen hatte und in der kulturellen Prägung zum Teil bis heute in Teilen hat.

Der Schreibstil ist sehr eingängig und kurzweilig. Sehr gelungen ist die Bereicherung der Ausführungen mit anekdotischen realen Frauengeschichten und - Schicksalen, die die Autorin aus persönlichen Dokumenten dieser rekonstruiert. So werden der historische Kontext und die Erkenntnisse aus der Geschichtswissenschaft unterfüttert und erlebbar gemacht. Zahlreiche historische Originalaufnahmen rahmen das Geschriebene zusätzlich visuell ein. 

Die Qualität der Publikation wird leider durch einige Logikfehler in der Darstellung der Frauengeschichten und des historischen Kontextes geschmälert. Da wird erst erwähnt, dass in jeder Besatzungszone unterschiedliche Regelungen galten, um dann im weiteren Verlauf die Gegebenheiten in einer Zone als exemplarisch für die Zeit und Umstände als solches darzustellen. Da wird der Umzug einer Familie von einer Wohnung in Leipzig nach Hannover beschrieben und später immer wieder auf ihr altes Leben in einer Villa in Dresden (statt Leipzig) verwiesen, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei der Angabe von Prozentzahlen wird teilweise nicht ersichtlich auf welche Grundgesamtheit sich diese beziehen, was die inhaltliche Aussage mitunter nur begrenzt nachvollziehbar macht. Bei diesen Punkten hätte ich mir insgesamt mehr Sorgfalt im Lektorat gewünscht.

Für Leser:innen, die nicht bereits zumindest in Grundzügen mit dem Forschungsstand zur Gleichberechtigung in den Gesellschaftswissenschaften vertraut sind, könnten einige Argumentationslinien in der Darstellung mitunter zu reißbrettartig wirken, obgleich sie fundiert und gut belegt sind. 

Mit diesen leichten Abstrichen, ist - Die kurze Stunde der Frauen - sehr lesenswert. Das Verdienst von Gebhardt liegt für mich in der gelungenen Entmystifizierung ideologisch motivierter Narrative, der kompakten, kurzweiligen historischen Darstellung und Entwicklung des Frauenbildes und seiner Pfadabhängigkeit sowie der Frauenbewegung in Ost und West, ihrer Erfolge wie Rückschläge vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Dies alles fast durchgängig aus einem ausgesprochen ausgewogenen stets abwägenden Blickwinkel, der in der Debatte leider viel zu selten ist.