Rezension

Coming of Age dreier Bauernkinder

Krummes Holz
von Julja Linhof

Bewertet mit 5 Sternen

Als Jirka Schilling zu Fuß in die Zufahrt zum elterlichen Hof einbog, lag eine Strecke vor ihm, für die er früher mit dem Rad eine halbe Stunde gebraucht hatte. Der 19Jährige kommt nach 5 Jahren im Internat zum ersten Mal wieder in den katholischen Hunsrück. Zum Glück wird er von Leander aufgelesen, mit dem er und seine ältere Schwester auf dem Hof aufgewachsen sind. Malene stellt sofort klar, dass sie Jirka nicht auf dem Hof haben will, den sie nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung führt. Jirka wurde zwar traditionell nach seinem Vater Georg getauft, jedoch „ Junge“  genannt, da es bereits einen Georg auf dem Hof gab. Erst der sudetendeutsche Verwalter, ohne den Georg senior längst bankrott gewesen wäre, gab ihm den tschechischen Namen Jirka (von Jiri = Bauer). Dass die Großmutter Agnes und der Vater Georg genannt werden, vermittelt eine befremdliche Distanz, ohne die die Kindheitserlebnisse der drei Bauernkinder vermutlich kaum zu ertragen wären.  Sie wuchsen mutterlos auf, Leander zunächst im Verwalterhaus mit seinem Vater Vilém, nach dessen frühem Tod später im Gutshaus gemeinsam mit Jirka und Malene. Den Haushalt führte Großmutter Agnes und erzog ihre Enkel in brüskem Ton und dem regionalen Aberglauben.

In der  Gegenwart wartet für Linhofs Leser:innen eine Reihe von Fragen auf Antwort: Wem gehört der Hof aktuell, wer führt ihn (Malene), wer hat ein Einkommen (Leander), wer hält alles zusammen, was hat Jirka vor – und wer liebt hier wen? Wie „einen zu klein gewordenen Pullover“, streift der Icherzähler seine Kindheit wieder über, die davon bestimmt war, dass Malene nicht die richtige Tochter und er nicht der richtige Sohn waren für einen Bauern, dessen geschäftliche Entscheidungen den Hof stets einen Schritt weiter in die Pleite zogen. Das Verhältnis zwischen der jungen Generation ist heute noch geprägt von Gewalt, Suche nach  Anerkennung und der Unfähigkeit Wünsche und Kränkungen auszusprechen. Da Georg Schilling Kriegsteilnehmer war und nicht wie ein Landwirt aus Leidenschaft wirkt, könnte die Notgemeinschaft Vereinsamter als Parade-Beispiel für die Vererbung von Traumata stehen. Körperlich und seelisch versehrt, bewegen sich Linhofs Figuren wie in einer asiatischen Bewegungsform im Gespräch aufeinander zu,  weichen aus, berühren Verschwiegenes, weisen einander ab. Der Erzähler Jirka wirkt früh gereift, zugleich unvorbereitet, den Lebenslauf seiner Eltern einordnen zu können. Sein Zeichentalent lässt ihn sich schließlich in Bildern ausdrücken.

Julja Linhof erzählt in ihrem raffiniert komponierten Plot  von drei jungen Erwachsenen, die  in einem brüllend heißen Sommer gemeinsam die Weichen für ihre Zukunft stellen und lange verborgene Verletzungen verarbeiten müssen. In der Begegnung  dreier vereinsamter  Bauernkinder mit Nachbarn und Saisonarbeitern in weiteren Rollen – nicht zu vergessen die Rolle des imposanten bröckelnden  Gemäuers –  entsteht hier ein glaubwürdiges Bild von Landwirtschaft in der Krise.  Ein großartiger Roman, der sich der Einordnung in Untergenres und Schlagwörter entzieht – Lassen Sie sich darauf ein.