Rezension

~*°..Ein unvergessliches Leben..°*~

Einfach unvergesslich - Rowan Coleman

Einfach unvergesslich
von Rowan Coleman

Bewertet mit 5 Sternen

“Alzheimerdemenz oder AD – ziemlich passender Spitzname eigentlich, wenn man bedenkt, dass wir Betroffenen alle Stück für Stück Ade! sagen”

Zitat, Seite 80

Claire ist Anfang vierzig, Mutter von zwei Kindern, glücklich verheiratet und leidenschaftliche Lehrerin. Als sie in regelmäßigen Abständen wesentliche Dinge aus ihrem Leben vergisst, ist sie beunruhigt. Die Diagnose vom Arzt: frühmanifestierte Alzheimerdemenz. Ein Schicksalsschlag, der Claire schlagartig den Boden unter den Füßen wegzieht.

Sie ist sich sicher, dass sie die Krankheit und den Prozess des Gedächtnisverlustes mit genügend Konzentration kontrollieren kann. Doch als ihr eines Tages die grundlegensten Dinge entfallen, gerät sie ins Taumeln. Plötzlich weiß sie weder den Namen ihrer jüngsten Tochter, noch wo sie wohnt. Ihren Mann hält sie für einen Fremden und beim Spaziergang durch die Nachbarschaft verliert sie komplett die Orientierung. Sie merkt nicht einmal, dass sie noch einen Pyjama trägt.

Für Claire beginnt ein verzweifelter Kampf um Erinnerungen, Verständnis und unbeschwerte Momente.

Und bevor ihr auch die letzte Erinnerung entgleitet, beschließt sie, ein kleines Notizbuch mit all den Gedankenschnipseln aus ihrem Leben zu füllen. Denn Claire weiß, dass es schon bald das Einzige sein wird, was ihrer Familie bleibt.

“Mum hat immer für irgendetwas gekämpft. Solange ich denken kann. Das hier ist die erste Schlacht ihres Lebens, von der sie bereits jetzt weiß, dass sie sie nicht gewinnen kann.”

Zitat, Seite 44

Rowan Coleman hat mit “Einfach unvergesslich” eine ganz und gar bezaubernde, wenn auch tieftraurige Geschichte niedergeschrieben. Die Krankheit Alzheimerdemenz aus der Sicht eines Betroffenen zu erleben, war für mich eine völlig neue Erfahrung und hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Durch Colemans einfühlsame und lebendige Art des Schreibens habe ich mich mit der Protagonistin Claire sehr schnell verbunden gefühlt. Es fiel mir nicht schwer, mich in ihre Lage hineinzuversetzen und all ihre verzweifelten und ungeschickten Handlungen nachvollziehen zu können.

Die Tragik der Krankheit und ihre Auswirkungen im Leben eines an Alzheimerdemenz erkrankten Menschen war auf jeder Seite präsent. Claire stolpert, hervorgerufen durch ihre Situation, in eine Menge prekäre und hilflose Situationen, die mich oft entsetzt oder zu Tränen gerührt haben. Es zerriss mir teilweise schier das Herz, ihr nicht helfen zu können. Es ist schrecklich, dass einem so glücklichen und selbstbewussten Menschen plötzlich wirklich alles genommen werden kann.

“Ich denke darüber nach, was für geheimnisvolle Dinger Reißverschlüsse doch sind. Viele Jahre lang schienen sie mir eine ganz simple Erfindung zu sein: schnell, bequem, praktisch. Und dann, neulich, mutierten sie auf einmal zu einem mechanischen Wunder, das ich einfach nicht begreifen kann.”

Zitat, Seite 276

Die Verzweiflung von Claire ist in jeder Zeile spürbar. Wie sie ein Vorhaben startet und bereits wenige Sekunden später vergisst, was sie tun wollte, wer sie ist, wo sie ist. Wie sie die Wörter von Gegenständen vergisst oder den Namen ihrer dreijährigen Tochter. Wie ihr die Nähe und Berührung zu ihrem Mann, den sie von Herzen liebt, unangenehm wird und sie beunruhigt, weil sie ihn als Fremden ansieht. Wie sie sich an das Gefühl erinnert, ihn geliebt zu haben, es aber nicht mehr verspürt. Als wäre es das Gefühl eines anderen Menschens, eines anderen Lebens.

“Glücklich sein – das vermisse ich. Einfach nur glücklich, ohne dieses Gefühl, dass jeder Moment des Glücks, den ich erlebe, auch gleichzeitig irgendwie traurig sein muss.”

Zitat, Seite 32

“Es wäre wirklich eine Hilfe, wenn ich mit fortschreitender Krankheit immer durchsichtiger würde, bis ich schließlich nur noch so eine Art Gespenst wäre. Das wäre wirklich praktisch, das würde es mir und anderen erleichtern, wenn mein Körper einfach analog zu meinem Geist verginge. Dann wüssten wir alle, woran wir wären, buchstäblich und im übertragenen Sinn.”

Zitat, Seite 151

Durch die Erzählung aus den Blickwinkeln verschiedenster Protagonisten verleiht die Autorin dem Buch eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Krankheit. Der Leser bekommt einen guten Einblick, wie sehr die Krankheit nicht nur das Leben des Erkrankten sondern auch der direkten Umgebung beeinflusst. Wie die einfachsten Dinge plötzlich unmöglich werden. Wie Verständnis der Irritation weicht. Wie Empathie zu Mitleid wird.

Doch trotz der traurigen Thematik der Geschichte ist es Coleman gelungen, die Geschichte mit schönen, lustigen und besonders gefühlvollen Stellen zu spicken, die den Leser umschmeicheln und ihn trösten. Sie helfen ihm, den Schicksalsschlag der Protagonistin zu akzeptieren.

“Das ist alles, was ich will. Das Jetzt. Diese Wärme. Diese Nähe. Seinen Geruch, seine Lippen, seine Berührung. Ich will nur im Jetzt sein – bis es vorbei ist. Dieser Kuss hat nichts mit Sex zu tun, nichts mit Begierde oder Leidenschaft. Bei diesem Kuss geht es einzig und allein darum, einander zu kennen, einander nah zu sein. Es ist ein Kuss der puren Liebe.”

Zitat, Seite 286

“Ich glaube, Liebe vergeht nicht. Liebe ist die wahre Erinnerung. Liebe ist das, was bliebt, wenn wir nicht mehr sind. Ich glaube, diese Gefühle sind viel echter, viel realer als unsere Körper und alles, was mit unseren Körpern schieflaufen kann. Das hier” – sie kneift sich in den Arm – “ist nur die Verpackung.”

Zitat, Seite 318

Durch Rückblenden in die Vergangenheit lernen wir Claires Persönlichkeiten kennen, die vor, und die nach der Diagnose. Das durch die Krankheit bedingte abrupte Wechselspiel dieser Persönlichkeiten erschreckte mich an mancher Stelle. Es begegnet einem wie die zwei Gesichtshälften eines Clowns, das weinende und lachende Gesicht. Wie schön es doch wäre, wenn wir dauerhaft mit einem lachenden Gesicht durchs Leben gehen könnten!