Rezension

Was von uns übrig bleibt…

Einfach unvergesslich - Rowan Coleman

Einfach unvergesslich
von Rowan Coleman

Bewertet mit 5 Sternen

»Doch, Mum, gerade ich kann sehr wohl den Kopf in den Sand stecken«, sage ich, den Blick starr aus dem Fenster gerichtet. »Gerade ich kann komplett ignorieren, was mit mir passiert, weil ich es nämlich die meiste Zeit sowieso nicht mitbekommen werde.«

Claire hat eine furchtbare Diagnose bekommen. Sie ist mit gerade mal Anfang 40 an Alzheimer erkrankt, die Krankheit schreitet erschreckend schnell voran. Mit Leib und Seele war sie Lehrerin – nun kann sie ihren Beruf nicht mehr ausüben. Sie hat ein Buch geschrieben – und nun fehlen ihr beinahe täglich immer mehr Worte. Sie hat zwei Töchter: Die eine studiert bereits, die andere ist erst drei Jahre alt – und sie ist nicht mehr in der Lage, sich um die Kleine zu kümmern. Sie erkennt und fühlt, dass ihre große Tochter in einer schweren Krise steckt, dringend Hilfe braucht – und sie kann sie noch nicht mal mehr selbständig anrufen, weil sie vergessen hat, wie ein Telefon funktioniert. Sie hat vor wenigen Jahren erst Greg, die große Liebe ihres Lebens, gefunden und geheiratet – und nun kommt er ihr von Tag zu Tag mehr vor wie ein Fremder.

»Meine Mutter bleibt noch kurz im Türrahmen stehen, dann macht sie auf dem Absatz kehrt. Ich war wohl wieder grausam. Vermutlich wissen alle, dass ich deswegen grausam zu meinen Mitmenschen bin, weil ich wegen der Krankheit nicht mehr weiß, was ich wie sagen soll. Und weil ich oft ganz einfach Angst habe. Vermutlich wissen das alle, aber das schützt sie nicht vor Verletzungen durch mich.«

Ihr Leben lang war sie selbstbewusst, unabhängig und eine Kämpferin – nun muss ihre Mutter wieder bei ihr einziehen, um sich um sie und die Kleine zu kümmern. Claire hat immer mehr „Ausfälle“, aber meist erkennt sie, was mit ihr geschieht und leidet furchtbar darunter. Gemeinsam mit ihrer Familie beginnt sie ein Erinnerungsbuch zu schreiben. Darin soll alles Platz finden, was wichtig erscheint, was je wichtig gewesen ist. Erinnerungen, Gedanken, Worte – aufs Papier gebracht, bevor sie ganz verschwinden.

 

Dieses Buch hat mich streckenweise wirklich erschüttert. Was für ein furchtbares Schicksal! Wie grausam! Ich habe richtig mitgelitten. Die meisten Kapitel sind aus Claires Sicht geschrieben, so dass man als Leser immer ganz nah an ihren Gefühlen und Ängsten ist. Was da alles in ihr vorgeht, erschien mir absolut realistisch und nachvollziehbar. Diese Wut zwischendurch, auf die, die sie „einsperren“, ihre Ausbruchsversuche, ihr verzweifeltes Bemühen, etwas selbständig zu tun, die Trauer über jeden weiteren Ausfall und die Angst vor dem, was kommen wird.

»Ich will meine Caitlin nicht alleinlassen. Und auch meine Esther nicht. Ich will für immer hier sein, bei ihnen sein und ihnen sagen können, dass ich sie liebe und dass sie alles schaffen werden, egal, was passiert. Und genau da liegt die Grausamkeit, die Ungerechtigkeit. Nicht vor der Krankheit habe ich Angst oder vor der fremden, dunklen, phantastischen Welt, in die sie mich führt. Nein, was ich am allermeisten fürchte, ist, dass ich die Menschen, die ich liebe, allein- und im Stich lassen werde und dass ich daran einfach nichts ändern kann.«

 

Andere Kapitel werden von Caitlin, der älteren Tochter, erzählt. Auch die sind sehr berührend. Sie ist eine junge Frau, die eigentlich selber noch auf zumindest gelegentlichen Beistand angewiesen ist und nun das Gefühl hat, völlig allein dazustehen. Die Angst vor einer Zukunft hat, die ihr Dinge abverlangt, denen sie sich nicht gewachsen fühlt. Die nicht weiß, ob sie sich ein eigenes – glückliches – Leben zugestehen darf, wo doch ihre Mutter so krank ist.

 

Wer aber jetzt glaubt, dass dieses Buch einen nur runterzieht und deprimiert, der irrt. Denn gleichzeitig vermittelt es die Botschaft, das Leben zu genießen, schöne und glückliche Momente anzunehmen, auf sein Herz zu hören.

Greg und Ruth (Claires Mutter) schreiben auch so einiges ins Erinnerungsbuch. Das sind wunderschöne Einträge und der Leser erfährt viel über all das, was die Familie miteinander verbindet.

Das Ende hat mich dann noch einmal vollkommen überrascht. Ich hatte mich auf die vielen Emotionen im Buch eingelassen. Ich hatte manchmal gelacht und an anderen Stellen einen dicken Kloß im Hals gehabt. Und ich hatte mich vor dem Ende gefürchtet. Aber das Buch will keine Angst machen, sondern Mut. Und so lese ich am Schluss überrascht und glücklich gleich zweimal das – wie ich finde – schönste Ende, das ein solches Buch haben kann. Und das ohne seinen Realismus zu verlieren.

 

Fazit: Unbedingt lesen! Todtraurig und gleichzeitig lebensbejahend. Einfach wundervoll.

 

»Was von uns übrig bleibt, ist die Liebe, die wir gaben und empfingen.«

Kommentare

kommentierte am 29. Dezember 2014 um 16:18

coole Rezi; kommt auf meine Wishlist :-)