Rezension

Einfach unvergesslich

Einfach unvergesslich - Rowan Coleman

Einfach unvergesslich
von Rowan Coleman

Bewertet mit 4 Sternen

Es gibt Momente, die man sehr gerne aus seinem Leben und seinem Gedächtnis verbannen möchte. Etwas anders sieht es allerdings aus, wenn man sich in seinem noch sehr jungen Leben mit der Diagnose Alzheimer arrangieren muss. Wie geht man damit um, jeden Tag ein Stückchen mehr von seinen Erinnerungen zu verlieren? Wie fühlt man sich, wenn alle Menschen, die einem sehr wichtig sind, plötzlich aus seinem Gedächtnis gelöscht werden und man sich nur in seltenen und kurzen Momenten an sie erinnert? An einem Tag vergisst man, wer seine beste Freundin ist und am nächsten womöglich, wie das eigene Kind aussieht. Und nach und nach verschwinden alle Erinnerungen, selbst die an die große Liebe seines Lebens. Als sich erste Symptome der Alzheimer Demenz bei einer nahen Verwandten von Rowan Coleman zeigten, begann eine schwere Zeit für die Autorin. Nach diesem sehr schwierigen Bruchteil ihres Lebens entschied Coleman sich dazu, diese sehr schwierigen Augenblicke in ihrem Roman „Einfach unvergesslich“ zu verarbeiten und anderen Menschen durch ihre Geschichte diese heimtückische Krankheit etwas näher zu bringen und betroffenen Mut zu machen. 

Claire ist 40 Jahre alt, als sie die niederschmetternde Diagnose erhält. Seitdem ist in ihrem Leben nichts mehr, wie es einmal war. Das Zusammenleben mit ihrer Familie wird für sie jeden Tag komplizierter, denn alle erleben ihren geistigen Verfall und haben Angst davor, dass Claire immer mehr von ihrer Persönlichkeit verliert und eines Tages komplett aus ihrem Leben verschwindet. Für Claire fühlt es sich manchmal an, als würde sie überbehütet und eingeengt werden und sehnt sich zurück nach ihrer Freiheit. Obwohl sie sich im Klaren darüber ist, dass es nicht normal ist, im Pyjama spazieren zu gehen und zu vergessen, wo man eigentlich hingehen wollte und wie man wieder nach Hause findet. Es ist nicht normal plötzlich nicht mehr zu wissen, wie man sich die Schuhe zubindet, aber sollte Claire deswegen Trübsal blasen? Dafür gibt es noch zu viele Dinge zu erledigen und sie beschließt, all die wundervollen großen und kleinen Momente aus ihrem Leben aufzuschreiben, bevor sie für immer verblassen...

Alzheimer betrifft nicht nur den Erkrankten selbst, obwohl es zu Beginn dieser Erkrankung wohl am Schwierigsten für ihn ist, weil er den schleichenden Verfall seines Gedächtnisses am eigenen Leib spürt. Je weiter diese Krankheit voranschreitet, umso mehr verändern sich der gewohnte Alltag, das Berufsleben und auch die Menschen, die ein wichtiger Bestandteil im Leben der an Alzheimer erkrankten Person sind. Claire, die Hauptprotagonistin aus „Einfach unvergesslich“ beschreibt uns Leser auf sehr eindringliche Weise, wie es ist gegen diese Krankheit zu kämpfen, obwohl sie weiß, dass sie nicht gewinnen kann. Sie erzählt von den Folgen des geistigen Verfalls, berichtet von Eselsbrücken, die sie sich aufgebaut hat, um wichtige Dinge nicht zu vergessen. Aber auch wie es ist mit großen Zukunftsängsten zu leben. Aber nicht nur Claire kommt in diesem Roman zu Wort, auch ihre erwachsene Tochter Caitlin. Diese beschreibt eine ganz andere Sicht auf diese schwierige Situation. Zum einen wie es ist mit ihrer an Alzheimer erkrankten Mutter zusammenzuleben, die im Verlauf immer etwas mehr von ihren liebenswerten Eigenschaften und ihren Fähigkeiten verliert. Und von einer Bedrohung, die womöglich auch in ihrem Körper schlummert: Eines Tages selbst an Alzheimer zu erkranken.

Bevor ich „Einfach unvergesslich“ von Rowan Coleman las, hatte ich ein wenig Angst davor, dass diese Geschichte mich zu sehr aufwühlt. Ich habe selbst einen geliebten Menschen in meiner Familie, der an Demenz leidet. Im Moment ist es besonders schwierig, denn es sind nur noch Bruchstücke der einstigen Persönlichkeit übrig geblieben. Trotzdem wollte ich gerne mehr über diese Krankheit erfahren. Dass es aus der Perspektive eines Betroffenen erzählt wird, hat mich dann restlos überzeugen können dieses Buch zu lesen. Obwohl ich viele sehr bewegende Momente mit Claire und ihrer Familie erlebt habe, konnte ich das Geschehen mit einer gewissen Distanz betrachten. Aus vielen Erlebnissen und Geständnissen von Claire konnte ich einiges für meine eigene Situation mitnehmen. Sie ließ mich vieles besser verstehen, warum ein Alzheimererkrankter Dinge tut, die für seine Umwelt nicht nachvollziehbar, für ihn unter Umständen aber wichtig sind. 

Rowan Coleman hat dieses wichtige und aufwühlende Thema gut verpackt. Mit einem einfach gehaltenen und flüssigen Schreibstil sensibilisiert sie den Leser und führt ihn an diese tückische Krankheit und ihre Folgen heran. Ihrer starken Hauptprotagonistin hat sie eine sehr eindrucksvolle Persönlichkeit verliehen, die den Leser bewegt, aber auch auf humorvolle Art unterhält. Die Geschichte wird insgesamt abgerundet von den sehr interessanten Auszügen aus dem Erinnerungsbuch, das nicht nur von Claire benutzt wird, um Erinnerungen festzuhalten. Einen kleinen Kritikpunkt muss ich aber dennoch aufführen. Am Ende wirkte die Geschichte für meinen Geschmack etwas zu aufgesetzt, weil sich so viele positive Dinge ereigneten. Da wäre meiner Meinung ein bisschen weniger mehr gewesen, denn diese ansprechende Geschichte hätte es nicht nötig gehabt.

Jedem Leser wird klar sein, dass die Erkrankung Alzheimer kein Happy End für die Betroffenen bereithält und trotzdem schafft Coleman den Leser nicht zu deprimiert zurück zu lassen und seinen Blick auf das Wesentliche im Leben zu lenken: Jede Minute und jeden noch so kleinen Augenblick in vollen Zügen zu genießen.