Rezension

Ein Wechselbad der Gefühle

Einfach unvergesslich - Rowan Coleman

Einfach unvergesslich
von Rowan Coleman

Bewertet mit 5 Sternen

Was wäre, wenn dir plötzlich der Name deiner erstgeborenen Tochter nicht mehr einfällt? Oder dein Alter, das Gesicht des Ehemannes, deine Adresse? Wenn es für dich kein Gestern mehr gibt sondern nur noch den Zauber einzelner Momente?

Meinung

Geschichte

Claire weiß einfach nicht mehr, wie diese Schuhe funktionieren. Welcher Schuh gehört noch mal zu welchem Fuß? Und wie funktioniert eigentlich dieses komische Schreibdings oder das Teil, durch das man andere Stimmen hört wenn man Tasten drückt? Wie heißt das Gemüse auf dem Herd und wie funktioniert ein Reißverschluss?

„Ich will, dass sie die Schuhe bekommt, und ich hoffe, dass sie an mich denken wird und sich daran erinnern wird, dass ich mir wirklich allergrößte Mühe gegeben habe, ihr eine perfekte Mutter zu sein, und dass es mir leidtut, dass ich versagt habe.“ (S. 255)

Claire hat Alzheimer, genau wie ihr Vater damals. Und die Krankheit schreitet deutlich schneller voran, als jeder gedacht hatte. Doch sie kämpft – auf Trübsal blasen hat sie keine Lust. Und um für sich und ihrer Familie ein Stück von sich und von ihrem Leben zu bewahren, schreibst sie ein Erinnerungsbuch um den Zauber der besonderen Momente in ihrem Leben für immer festzuhalten.  Immer mit dem Wissen, dass diese Gedanken bald das einzige sind, was ihr von ihrer Familie und von sich bleibt. Doch dabei muss sie noch so viel erledigen. Sie muss sich mit ihrer Tochter aussprechen, ihrem Mann zeigen, wie er für die kleine Esther die Lasagne richtig kocht. Sie will noch einmal leben, sich vielleicht neu verlieben, frei sein.

„Ich habe Angst vor dem Tag, an dem ich vor ihr stehe und sie nicht mehr weiß, wer ich bin. An dem sie vergessen hat, wozu ich eigentlich da bin, genau wie das Lenkrad in ihrem Auto.“ (S. 61)

Ich erlebte, wie Claire versucht das beste aus ihrer Situation zu machen, noch einmal zu leben und alle offenen Geheimnisse und Fragen zu klären, bevor sie vollkommen hinter diesem grauen Nebel des Vergessens verschwunden ist. Dabei ist die Geschichte sehr traurig und berührend, ein Wechselbad der Gefühle, bei dem Lachen und Weinen Hand in Hand gehen. Denn Claire versucht ihre Situation mit so viel Galgenhumor wie möglich zu nehmen, was mich immer wieder zum Schmunzeln bringen konnte. Dadurch wurde die Geschichte insgesamt leichter verdaulich und hatte trotz ihrer Härte und Tragik auch etwas Leichtes an sich, dass mich direkt ins Herz getroffen hat. Rowan Coleman schafft es auch, mich am Schluss mit einer Wendung zu überraschen, zu der ich zwar vorher schon meine Spekulationen hatte, aber vollkommen falsch lag und umso berührtet war.

„Er ist mein Mann, der Mann, vor dem ich nie genug kriegen können sollte. Ich weiß das, und doch ist er ein Fremder für mich.“ (S. 102)

Schreibstil

Das Buch ist in der Ich-Perspektive geschrieben. Die Geschichte ist überwiegend aus der Sicht von Claire und ihrer Tochter Caitlin erzählt. Zwischenrein gibt es neben den Momenten in der Gegenwart aber immer wieder Erinnerungen. Erinnerungen die Claire, Caitlin, Claire’s Ehemann Greg und ihre Mutter Ruth in Claire’s Erinnerungsbuch schreiben. Das hat das Buch ganz Besonders für mich gemacht. Denn so konnte ich auch hinter die Fassaden ihrer Tochter, ihres Mannes und ihrer Mutter sehen. Ich spürte dadurch hautnah, wie verzweifelt alle versuchen Claire zu helfen und für sie stark zu sein und wie sehr sie selber darunter Leiden und auch, wie sehr sie alle Claire lieben, auch wenn sie es nicht immer zeigen und transportieren könne. Es war beklemmend und berührend eine Geschichte zu lesen, aus der Sicht einer Person, die mit jedem Tag ein Stückchen mehr von sich selber vergisst und von der Welt um sie herum. Und zu erleben, wie sie immer wieder wegdriftet, der Nebel sich legt und wie es ihrer Familie damit geht, welche Hoffnungen und Ängste alle haben.

Charaktere

Wir erleben, wie Claire nach und nach sich selbst verliert und wie ihre Familie und sie selbst damit umgehen und zu kämpfen versuchen. Alle Charaktere sind dabei authentisch, facettenreich und gefühlvoll gezeichnet. Ich konnte alle in mein Herz schließen und mich in jeden hineinversetzten, mit jedem mitleiden und -hoffen. Auch wenn beispielsweise Ruth, Claires Mutter, zunächst kalt rüber kam, merkte man in ihren Kapiteln, wie es tief in ihr drinnen aussieht. Ebenso wie bei allen anderen. Jeden konnte ich während des Lesen immer mehr verstehen und liebgewinnen.

„Und ich weiß, dass es das Letzte ist, was sie möchte: ihre Tochter genauso vergehen und verkümmern zu sehen wie ihren Mann.“ (S. 19)

Fazit

Einfach unvergesslich behandelt keine einfache Geschichte. Dennoch schafft es Rowan Coleman das Thema Alzheimer so zu verpacken, dass das Buch trotzdem eine gewisse Leichtigkeit behält, die mich berührte. Es versrahlt Liebe und Hoffnung und zeigt, wie wichtig die kleinen Momente im Leben sind und ganz besonders, wie wichtig die eigene Familie ist. Es war ein Wechselbad der Gefühle, ich konnte Lachen und Weinen, eine perfekt gelungene Mischung. Der Schreibstil war schlicht, aber emotional und einnehmend. Die Charaktere authentisch, facettenreich, gefühlvoll. Eine absolute Leseempfehlung und fünf verdiente Sterne.