Rezension

Ein Buch zum Lieben oder zum Hassen - ganz großes Kino

Die Bestimmung 03 - Letzte Entscheidung
von Veronica Roth

Klappentext:
Die Fraktionen haben sich aufgelöst und Tris und Four erfahren, dass ihr ganzes Leben eine Lüge ist: Es gibt eine Welt außerhalb ihrer Stadt, außerhalb des Zauns. Für Tris und Four steht fest, dass sie diese neue Welt erkunden wollen. Gemeinsam. Doch sie müssen erkennen, dass die Lüge hinter dem Zaun größer ist, als alles, was sie sich vorstellen konnten, und die Wahrheit stellt ihr Leben völlig auf den Kopf. Als Tris dann auch noch die letzte Entscheidung treffen muss, kommt alles ganz anders als gedacht ...

Einordnung:
- Die Bestimmung (Teil 1)
- Die Bestimmung: Tödliche Wahrheit (Teil 2)
- Die Bestimmung: Letzte Entscheidung (Teil 3)

Rezension:
Kann Spoiler bezüglich der ersten beiden Teile enthalten!

Anders als die beiden bisherigen Bände ist dieser Teil abwechselnd aus der Perspektive von Tris und Four geschrieben. Das ist gerade zu Beginn ziemlich gewöhnungsbedürftig, da der Leser schon seit fast 1.000 Seiten in Tris‘ Kopf steckt, von Fours Gedanken jedoch nicht besonders viel Ahnung hat. Beide berichten abwechselnd aus der Ich-Perspektive, sodass es jedes Mal wirklich einen starken, spürbaren Wechsel gibt statt eines sanften Umschwenkens der Perspektive. Zu Beginn jedes Kapitels wird aber immer darauf hingewiesen, in wessen Kopf der Leser auf den nächsten Seiten eintauchen wird. Leichter wurde es für mich, weil ich Four wirklich gerne mag, trotzdem hat es sich in den ersten Kapiteln ziemlich falsch angefühlt.

Das tut der Geschichte jedoch keinen Abbruch. Der Schock über die Erkenntnis, dass es eine Welt außerhalb des Zauns gibt, sitzt tief. Leider kam das für mich nicht so überraschend wie für die Charaktere, da Tris, anders als in diesem Band behauptet, schon im ersten Teil einmal darüber nachgedacht hat, dass sie anscheinend in der Stadt eingesperrt sind und nicht die Außenwelt aussperren. Trotz allem stellt sich mir natürlich auch die Frage, wie es außerhalb der Stadt aussieht und ob es dort noch Leben gibt. Um das zu erkunden, verlassen Tris und Four mit einigen anderen die Stadt.
Doch schon bald müssen sie erkennen, dass das Leben außerhalb der Stadt kein Stück besser ist. Auch hier gibt es eine Unterteilung der Menschen in verschiedene Gruppen, doch diese ist gewissermaßen noch drastischer als in der Stadt, in der jeder Bewohner seine Fraktion wenigstens selbst wählen konnte. Denn außerhalb der Stadt erfolgt diese Unterteilung aufgrund der Gene. An dieser Stelle verdeutlicht die Geschichte ganz unaufdringlich die Tatsache, dass es überall Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Intoleranz gegenüber Minderheiten gibt, dass die Gesellschaft jedoch gleichzeitig ohne eine Unterteilung in Klassen und Gruppen nicht überlebensfähig ist. Für Analytiker bietet der dritte Band viel Stoff zur Interpretation, es ist jedoch auch leicht, darüber hinweg zu lesen, wenn man bloß die Geschichte genießen möchte. Damit stellt das Buch zumindest in diesem Punkt wohl jeden zufrieden.
Tris und Four gewinnen jedoch nicht nur eine Menge Eindrücke über die Welt außerhalb des Zauns, sie erkennen auch, dass ihre bisherige Welt viel mehr Lügen aufbaut als sie dachten. Hinter die Wahrheit bin auch ich erst gemeinsam mit Tris und Four gekommen. Die Idee ist wirklich großartig und je weiter die Geschichte fortschreitet, desto deutlicher wird, dass alle drei Bücher bis ins letzte Detail durchdacht sind. Alle Unstimmigkeiten der bisherigen Geschichte werden ausgebügelt und ergeben einen Sinn. Mich haben die Erkenntnisse, die die Charaktere außerhalb der Stadt gewinnen, vollkommen auf dem falschen Fuß erwischt. Die ganze Zeit hatte ich einen Fantasy-Gedanken im Hinterkopf. Doch eigentlich sind es eiskalte Science-Fiction-Bücher. Die Autorin versteht es wirklich gut, die Wahrheit zu verschleiern.

Dramatisch sind die Geschehnisse aber nicht nur außerhalb der Stadt, sondern auch innerhalb. Denn es haben sich zwei Parteien gebildet, die nach Jeanines Tod die Regierung übernehmen wollen. Besonders detailliert wird das aus Fours Perspektive beschrieben, denn die Führer der beiden Parteien sind seine Mutter Evelyn auf der Seite der Fraktionslosen und sein Vater Marcus auf der Seite der Getreuen. Die Situation eskaliert immer mehr und es gibt mehr als nur einmal ein Blutbad.
Das große Charaktersterben geht also auch in diesem Teil noch weiter. Natürlich können nicht am Ende alle wohlauf und zufrieden sein, aber manchmal fand ich es doch etwas übertrieben, dass sowohl alte als auch neu auftauchende Charaktere in so großer Zahl verheizt werden, dass teilweise totgeglaubte Figuren wieder auferstehen müssen, damit mehr als eine Handvoll wichtiger Personen übrig bleibt.

Insgesamt habe ich das Gefühl, das dieses Buch auf Messers Schneide tanzt. Es gibt viele Ereignisse, die mich als Leser haben leiden lassen. Ich war traurig, ich habe mich unendlich aufgeregt, ich habe mir die Haare gerauft. Schlussendlich muss ich aber sagen, dass ich die Entscheidungen der Autorin wirklich mutig finde. So aufgebracht ich auch wegen einiger Dinge bin, habe ich doch das Gefühl, dass sie genau so in der Geschichte passieren mussten, damit es nicht unglaubwürdig wird.
Und weil ich die Sache, die mir am besten gefällt an der Geschichte, unbedingt erwähnen möchte, sie aber Personen spoilern könnte, die sich mit Stilmitteln auskennen, maskiere ich die Stelle sicherheitshalber. Wer es lesen will, muss einfach den Textabschnitt markieren, dann wird die Schrift sichtbar: Es ist ein sehr, sehr wichtiges Stilmittel, wenn Geschichten im Präsens geschrieben sind. Da achtet nur leider kaum jemand drauf. Veronica Roth gilt mein größter Respekt, weil sie diese Zeitform tatsächlich als Stilmittel nutzt und sich nicht einfach ohne Hintergedanken dafür entschieden hat.

Fazit:
Dieses Buch kann man nur hassen oder lieben. Bei mir ist der Sturz von Messers Schneide schlussendlich positiv ausgefallen, aber ich habe vollstes Verständnis für alle Leser, denen es nicht so geht. In diesem finalen Teil erfolgt die Auflösung, was es mit der Stadt eigentlich auf sich hat. Diese gut durchdachte Idee bietet viel Interpretationsstoff für Analytiker, aber auch spannende Szenen für Leser, die einfach die Geschichte genießen möchten. Obwohl das übermäßig Charaktersterben mir die Haare vom Kopf gefressen hat, bekommt „Die Bestimmung – Letzte Entscheidung“ alle fünf Schreibfedern von mir, vor allem für Klugheit und Mut der Autorin.