Rezension

Ein hist. Thriller - nichts für Zartbesaitete

1793 - Niklas Natt Och Dag

1793
von Niklas Natt och Dag

Bewertet mit 5 Sternen

Wohltuend anders sind die beiden Ermittler, die die Identität eines Mordopfers, dessen Torso man aus dem, zur Kloake verkommenen Flusses geborgen hat. Zum einen handelt es sich um den verbitterten Kriegsveteranen Jean Michael Cardell, der seine hölzerne Unterarmprothese recht gut einzusetzen weiß, und zum anderen um den „Agenten für spezielle Fälle“ Cecil Winge, einem an Schwindsucht erkrankten Juristen, dessen Lebensziel ist, diesen Mord aufzuklären. Denn eines ist bald klar, dem Mordopfer sind die Gliedmaßen, Augen und Zunge mit chirurgischer Präzision entfernt worden. Besonders auffällig, zwischen den Amputationen hatten die Stümpfe immer wieder Zeit zu heilen. Und genau das Wissen um eine solche Heilung spannt Winge mit Cardell zusammen.

Das zusammengewürfelte Ermittler-Duo passt perfekt zu dieser düsteren Grundstimmung. Es scheint, als wollte niemand dieses Verbrechen enträtseln. So ermitteln die beiden scheinbar völlig auf sich allein gestellt und unbehelligt. Erst nach und nach erschließen sich die Zusammenhänge.
Durch ihre Recherchen kommen sie einem Geheimclub, dem reiche und honorige Mitglieder der Stockholmer Gesellschaft angehören, gefährlich nahe. Wird es ihnen gelingen, den Mord aufzuklären und die Täter zur Verantwortung zu ziehen?

Meine Meinung:

Wer hier einen lockeren historischen Krimi vermutet, wird eines Besseren belehrt. Das Setting ist schmutzig, brutal, widerlich und der Zeit angemessen. Das soziale Umfeld ist durch eine dünne adelige Oberschicht, eine Reihe schlecht bezahlter Beamter und einem Heer von mittellosen Menschen geprägt. Da fackeln die Stadtväter nicht lange: Vagabundieren wird nicht geduldet und die Obdachlosen landen in Besserungsanstalten oder Arbeitshäusern, wo sie gedemütigt und geschunden werden sowie der Willkür des sadistischen Personals ausgesetzt sind.

Mehrmalige Perspektivenwechsel erhöhen die Spannung. Die Ermittler landen in Sackgassen, erleiden Rückschläge, werden überfallen und sind dennoch besessen davon, den Fall zu lösen.

Sehr interessant finde ich die Vorgehensweise des Cecil Winge, der in Cardell aufgrund seiner eigenen Amputation, einen Spezialisten für chirurgische Eingriffe sieht. Es ist die Zeit, wo die Chirurgie als Handwerk zählt. Chirurgen sind in den seltensten Fällen ausgebildete Mediziner, häufig Henker, Barbiere und Feldschere. Erst im Laufe der nächsten Jahre, der Napoleonischen Kriege, die ganz Europa überziehen, wird ein Umdenken einsetzen. Übungsobjekte sind ja dann genügend vorhanden.

Die Charaktere sind teilweise recht skrupellos. Selbst das Ermittler-Duo ist nicht gefeit davor, zu ungewöhnlichen Mitteln zu greifen, um der Aufklärung näher zu kommen. Wie zu dieser Zeit üblich, fließt Alkohol in Strömen, wird geprügelt, gestohlen und auf der Straße kommt das Recht des Stärkeren zur Anwendung.

Wir erfahren, warum die Hauptdarsteller so sind, wie sie sind. Immer wieder werden historische Details subtil und unterschwellig eingeflochten. Für diejenigen Leser, die mit dieser Epoche nicht so vertraut sind manchmal schwer fassbar. Doch für mich ist das Buch ein toller Lesegenuss, auch wenn die cloaca maxima und die Armut zwischen jeder Buchseite hervorstinken.

Faszinierend ist auch das Cover: Die ausgesparte Jahreszahl aus der eine Ansicht von Stockholm hervorlugt. Der leuchtend rote Blutfleck suggeriert schon einen blutigen Inhalt.

Fazit: