Rezension

Ein liebevoller Familienroman

Otto - Dana von Suffrin

Otto
von Dana von Suffrin

Bewertet mit 4.5 Sternen

Otto, der pensionierte Ingenieur, gibt das Leben nicht so schnell auf: Mehrfach im Koma und von den Ärzten öfters totgesagt, kämpft er sich ins Leben zurück. Allerdings ist er auf die Hilfe einer Pflegerin und auf die Unterstützung seiner beiden Töchter angewiesen. 

Die überall zu lesende Kurzfassung des Romans finde nicht besonders treffend. In diesem wird Otto als Patriarch beschrieben, den die Töchter ihr ganzes Leben lang loswerden wollen – den Eindruck habe ich keineswegs! Klar, ist Otto manchmal anstrengend, doch sein ständiges Nachfragen macht eher deutlich, dass er sich um seine Töchter sorgt (was nicht wundert, sind beide doch arbeitslos bzw. Geringverdiener). Den so strengen Patriarch finde ich in diesem Buch nicht, stattdessen eher das Gegenteil des liebenden Vaters, der seine Töchter modern und verantwortungsbewusst (vor allem im Vergleich zur alkoholkranken Mutter) auf- und großgezogen hat. Auch kann ich es verstehen, dass er seine Töchter so oft wie möglich sehen möchte, sind sie doch das einzige, was ihm geblieben ist. Auch dass Timna und Babi Otto mit seinem Vornamen ansprechen und nicht mit Ehrfurchtsbezeichnungen wie Vater, deutet auf eine moderne und gleichberechtigte Beziehung hin.

Was ich ein bisschen schade fand, dass Ottos Vergangenheit so wenig zu Sprache kam. Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg muss für die Familie sehr tragisch gewesen sein, doch dass nahezu alle Verwandten im KZ ermordet wurde, wird nicht großartig thematisiert und durch die beiläufige Erwähnung schon ein wenig bagatellisiert. Auch Babi und Timna scheinen kein großes Interesse an ihrer jüdischen Vergangenheit zu haben, der Versuch, eine Familiengeschichte zu schreiben wird nur halbherzig angefangen. Vor dem Hintergrund hätte das Buch ruhig noch 100-150 Seite mehr haben können. 

Besonders gelungen finde ich es, wie die Autorin ihre Figuren aufbaut und beschreibt. Beide Töchter sind sehr groß und schlank, eine an sich nicht sonderlich bemerkenswerte Tatsache, aber mit welchem Humor und Witz die Äußerlichkeiten von Babi und Timna beschrieben werden, ist wirklich gelungen! Gleiches trifft auch auf die Pflegekräfte zu. 

Überhaupt bringt einem das Buch sehr oft zum Schmunzeln, auch wenn es viele traurige Aspekte gibt wie den zunehmenden körperlichen Verfall von Otto: Das Altern der eigenen Eltern ist wohl für niemanden einfach zu ertragen. Diejenige, die uns unsere Kindheit begleitet und unterstützt haben, sind jetzt selbst auf unsere Hilfe angewiesen und gehen dem Ende ihres Lebens entgegen. Oft sagt man, dass man erst dann richtig Erwachsen wird, wenn die Eltern sterben und man quasi der nächste in der natürlichen Reihenfolge wäre – eine Tatsache, die auch hier in „Otto“ zutrifft. 

Das Buch ist ein humorvoller, aber sehr trauriger Familienroman, den ich absolut empfehlen kann! Wer eine enge und liebevolle Beziehung zu seinen Eltern hat, wird sich in einigen Aspekte wiedererkennen und beim Lesen auch häufig schlucken müssen. Einen Punkt Abzug gibt es für die spärliche Thematisierung von Ottos Vergangenheit.