Rezension

Geliebte Nervensäge

Otto - Dana von Suffrin

Otto
von Dana von Suffrin

Bewertet mit 3 Sternen

Schon von außen strahlt der Roman das aus, was den Leser erwartet. Unzufriedenheit, Frustration, aber auch das Böse gucken einen durch die Coveraugen an.  Der Titel "Otto" lässt mich an Augen und Nase denken, bei den Ts an Zornesfalten, aufeinander gepresste Lippen ergeben sich aus dem Namen der Autorin und Schriftzug "Roman". Unter der etwas provozierenden Hülle verbirgt sich etwas Glanzvolles, ein Bronze schimmerndes Buch, das man schon optisch gern in die Hand nimmt. So wie die Gestaltung empfinde ich auch den Inhalt des Romans, hinter einer schwer erträglichen Familiensituation verbirgt sich doch etwas ganz Besonderes. Ottos Geschichte ist anstrengend, nicht unbedingt anstrengend zu lesen, sondern schwierig zu verarbeiten, wenn man die Geschehnisse auf die eigene Familie transferiert. Was wäre, wenn ich Timna oder Babi, eine von Ottos Töchtern, wäre?

Nach monatelangen Krankenhausbesuchen darf/muss Timna ihren Vater aus dem Krankenhaus abholen. Der Aufenthalt dort war geprägt durch schwelende Infekte und zahllose Anästhesien. Mehrfach sprang Otto dem Tod gerade so noch von der Schippe. Wann immer sein Gesundheitszustand es zwischendurch zulies, war er sofort der fast unerträgliche Patriarch, der sich ungefragt in das Leben seiner erwachsenen Töchter einmischt und ganz viel Aufmerksamkeit für sich selbst von ihnen verlangt. Dabei pflegt er einen alles andere als liebevollen Umgang mit den beiden, legt einen Jargon an den Tag, der regelrecht abstoßend ist. Auf S. 45 zeigt er sich gar „enttäuscht von der Geistlosigkeit der Frucht seiner Lenden“. Dieser böse Charakter ringt Timna und Babi, trotzdem das Versprechen ab, ihn nicht in eine Pflegeheim zu stecken, sondern ihn in seinem Eigenheim zu pflegen. Dies wird mit einem geschickten Schachzug erreicht, der kaum abzuschlagenden "schöne Bitte", die kindlichem Betteln gleichkommt und die mit dem schlechten Gewissen spielt. In gleicher erpresserischer Manier motiviert Otto die ältere Tochter, Timna, die Familiengeschichte aufzuschreiben, bevor die Erinnerung daran mit seinem Ableben oder durch sein Alzheimer verschwindet.

Die Ich-Erzählerin, Timna, berichtet nun unverblümt von Anekdoten aus ihrer und Babis Kinheit, von Ausflügen, die unter dem unermesslichen Geiz des Vaters zu leiden hatten, von tandhaften Geschenken der Mutter, Ursula, die vielleicht ein schlechtes Gewissen den Kindern gegenüber kompensieren musste. Sie trägt darüber hinaus sehr ernste Themen zusammen, die Ottos Erinnerungen entstammen. Die im Zweiten Weltkrieg deportierten Familienmitglieder und Freunde werden in Sätzen wie: „Dann kamen die Jahre nach 1941, in denen Gott nahm und die Juden wie Gänseblümchen von der Erdoberfläche pflückte.“ (S. 125) betrauert. Nur noch wenige aus seiner Altersgruppe sind überhaupt noch am Leben. Otto selbst scheint der Einzige zu sein, der damals keine Nummer in den Arm tätowiert bekam. „Einfach“ so davongekommen ist er. Der Verlust seiner Heimat Siebenbürgen war wohl der Preis dafür. Unter dieser Tatsache leidet Otto wie auch am Verlust seiner einstigen Liebe Ewa. Mit der Scheidung der Eltern und dem sich anschließenden Verfall beider droht auch die Familie zu zerfallen. Das letzte Pessach fasst schließlich die Familiensituation noch einmal treffend zusammen. „Diesmal war alles karg und fehlerhaft und vergeblich, so wie unsere ganze Familie. Ich sage zu Babi, oh Mann, Pessach mit Alzheimer ist irgendwie unvollständig, Babi sagt: Dieses Jahr feiern wir Demenzach!“ (S. 204) Für das Erzählen der Familiengeschichte mag ich Timna, auch für ihre Standhaftig- und Leidensfähigkeit. Trotz allem versucht sie, die Familie weiterhin zusammenzuhalten, obwohl der riesige Aufwand, der dahinter steckt, bei ihrem Freund auf Argwohn stößt.

Der Roman ist keine geradlinige Geschichte, eher ein Aufblitzen von Erinnerungen nach dem Schema „Weißt Du noch, damals?“. Deshalb wirkt er zunächst wie eine Aneinanderreihung einzelner, zusammenhangloser Erzählfetzen. Trotzdem lässt Dana von Suffrin ein Gesamtbild entstehen, das schon sehr genau preisgibt, unter welchen Umständen Timna und Babi aufgewachsen sind. Aus meiner Sicht arbeitet die Autorin viel mit Klischees und Stereotypen. Diebstahl, Geiz und „Beschiss“ waren mir zu vordergründig. Dafür mochte ich die Kleinigkeiten sehr. Sailormoon und Pi**elsuppe sind nur zwei Beispiele dafür.

Weil der Roman aufgrund seiner Charaktere und vielleicht auch wegen seines Aufbaus recht anstrengend war, möchte ich insgesamt eine etwas eingeschränkte Leseempfehlung geben. Die Bereitschaft, sich auf eine stark fragmentierte Geschichte mit ungewöhnlichen Humor einzulassen, sollte schon gegeben sein.