Rezension

Ein wunderbares , berührendes Leseerlebniss mit tollen Protagonisten und ganz viel Tiefgang

Was uns erinnern lässt - Kati Naumann

Was uns erinnern lässt
von Kati Naumann

Bewertet mit 5 Sternen

Das unbeschreibliche Gefühl von Heimat

1948 - 1977

Im Thüringer Wald , am Rennsteig
  
Das ehemals mondäne Hotel Waldeshöh im Dressels Forst ist schon seit Generationen das Zuhause der Familie Dressel . Vor Jahrzehnten war es für die gut situierten Kurgäste gebaut worden , die jeden Sommer kamen , um die gute Luft und das Wandern am Rennsteig zu genießen. Die ideale Lage des Hotels im Herzen von Deutschland , mitten in den Tiefen des Thüringer Waldes , lockte viele Wanderer in das Hotel . 
** Zitat S. 71
~~ Das ganze Haus war erfüllt von Flüstern und Seufzern,
 von tiefen Atemzügen und dem Geräusch knarrender Betten .
Das Hotel war wieder zum Leben erwacht . ~~ 
Leider bleiben die Gäste ab dem zweiten Weltkrieg aus, obwohl sich keine Bombe in den Wald verirrte , der seine Bäume dicht wie ein Schutzschild wachsen lässt . 
Kein zahlender Gast verirrte sich in das abgelegene Hotel , das während des Krieges eine Gruppe von Kindern beherbergt , die es zu versorgen galt, für die alte Maria Dressel und ihre Schwiegertochter Johanna . 
Jetzt , über vierzig Jahre später, lebt nur noch die 14 jährige Christina Dressel mit ihren Eltern , Oma Johanna und den Geschwistern Andreas und Viola, im Hotel Waldeshöh. 
Schon lange findet kein Wanderer mehr den Weg zu ihnen. 
Seit der Teilung Deutschlands liegt das Hotel hinter Stacheldraht, in der Sperrzone , direkt an der Grenze. Ohne Passierschein darf niemand das Waldstück betreten . 
Und doch haben die Eltern und Oma Johanna die Hoffnung niemals aufgegeben , das Hotel Waldeshöh irgendwann wieder aus seinem Dornröschenschlaf erwacht . So wie die Gästezimmer , die seit Jahren trotzalledem wöchentlich gründlich geputzt und die Betten frisch bezogen werden , weil sie auf Gäste warten , die jedem Zimmer wieder Leben einhauchen . 
Hotel Waldeshöh mutet in seiner Einsamkeit an der Deutsch - Deutschen Grenze , im tiefsten Thüringer Wald,  wie ein Relikt aus einem verwunschenen Märchen .Für die Kinder war ihr Wald der schönste Spielplatz , den sie sich vorstellen konnten. Die Erwachsenen und auch die Kinder kannten jeden Baum und jeden Strauch in ihren Wald , er gehörte quasi zur Familie . Jahrzehntelang war Dressels Forst die Heimat der Familie gewesen .Doch in den 70er Jahren versucht der Staat aller Macht durch das immer größer werdende Grenzsperrgebiet , die Familie aus ihrem Wald zu verdrängen, ihre tiefen Verwurzelungen auszureißen und ihnen die geliebte Heimat zu nehmen . 
Irgendwann fahren weder Postauto noch Krankenwagen mehr zur Familie Dressel ins Sperrgebiet hinauf. Fast scheint es, als habe die DDR das Hotel und seine Bewohner vergessen. 

2017 
Milla hat heute ihren freien Tag den sie mit ihrem 14 Jährigen Sohn Neo verbringen möchte . Sie ist alleinerziehend und arbeitet als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei . Doch Neo hat sie versetzt ,wahrscheinlich für seine neue Freundin . Milla beschließt trotzdem draußen was zu unternehmen und schließt sich einer Wandergruppe zum Rennsteig an , die sie jedoch nach kurzer Zeit verlässt , weil das gemeinsame Singen nicht so ihr Ding ist . Sie läuft alleine weiter und findet abseits der Wanderwege des Thüringer Wald zufällig einen überwucherten Keller und stößt auf die Geschichte des Hotels Waldeshöh. Dieser Keller ist völlig erhalten und sieht aus als wenn jeden Moment einer der ehemaligen Bewohner die Treppe runter kommt um ein Glas Brombeer Marmelade zu holen . In einer Ecke liegen die alten Schulhefte von Christine und Andreas Dressel . Milla weiß das sie hier einen ganz besonderen Ort gefunden hat . Und der lässt sie einfach nicht los. Ständig kreisen ihre Gedanken darum, was mit dem Haus , von dem nichts mehr übrig ist außer der Keller , passiert ist. 
Sie spürt Christine Dressel auf, um mehr vom Schicksal der Bewohner und des Hotels  zu erfahren. Die beiden Frauen freunden sich nach und nach an , verändern sich zum positiven. Während die eine lernt, Erinnerungen anzunehmen, findet die andere Trost im Loslassen.
**Zitat S. 107
~~ "Erinnern geht gut zusammen,  aber vergessen kann man wohl nur allein". ~~ 

Ich bin begeistert !  
“Was uns erinnern lässt” ist mein Lesehighlight für das erste Quartal  von 2019  und für mich einer der schönsten Romane , die ich in letzter Zeit gelesen habe . Die Geschichte der Familie Dressel und ihrem Hotel Waldeshöh im tiefen Thüringer Wald, wird mit so viel Wärme und Geborgenheit in jedem Satz , bildlich dargestellt und  mit ganz viel Herz erzählt . 
Die Liebe zur Heimat und zu den Menschen , ist greifbar, in jedem Wort spürbar . Ich war noch nie im Thüringer Wald, aber Kati Naumann hat es geschafft und “Dressels Forst” , mit all seinen Bewohnern aus ihrer wunderbaren Erzählung zu mir nach Hause gebracht . Es war ein wunderschönes und sehr emotionales Leseerlebnis für mich . Zu Gast bei den liebenswerten und trotz der Repressalien immer zufriedenen und glücklichen Dressels , in ihrem Hotel Waldeshöh am Rennsteig  . Einfühlsam und ohne viel Verschnörkelung , aber dafür mit ganz viel Atmosphäre , erzählt die Autorin die berührende Familiengeschichte auf zwei Zeitebenen ,   die mich sofort “gefangen genommen” hat und nicht mehr loslässt. Selbst Tage später kreisen meine Gedanken noch immer um diesen tollen Roman , der seinen wohlverdienten Platz bei meinen Herzensbüchern bekommt. 

Sehr gerne vergebe ich für den intensiven Roman gute 
5 Sterne  
und eine unbedingte Leseempfehlung für alle die gerne Familiengeschichten lesen und sich für unsere historische Geschichte interessieren . 

@heidi_59