Rezension

Anspruchsvoller Roman über die Bedeutung von Heimat und Vergangenheitsbewältigung

Was uns erinnern lässt - Kati Naumann

Was uns erinnern lässt
von Kati Naumann

Bewertet mit 5 Sternen

Kati Naumann hat ein wichtiges Kapitel deutsch-deutscher Geschichte aufgegriffen, indem sie mit dem Schicksal der (fiktiven) Familie Dressel nicht nur das alltägliche Leben im Grenzgebiet des geteilten Deutschland, sondern auch das Thema Zwangsumsiedlung zu elementaren Komponenten ihres Werkes gemacht hat. Behutsam und mit sehr persönlichem Bezug bringt die Autorin den Lesern Hintergrundinformationen näher, die auch Jahre nach der Wiedervereinigung einem Großteil der Bevölkerung sicherlich nicht bekannt sind oder deren Ausmaß vielen Menschen nicht bewusst ist. Dieses bewegende Werk zeichnet sich nicht nur durch ein unglaubliches Maß an Authentizität (– sowohl in Ausarbeitung der Figuren, Glaubwürdigkeit der Dialoge als auch des Lokalkolorits –) aus, sondern besticht zudem durch die unheimlich intensive Recherche, die der Story zugrunde liegt. Private Erinnerungen der Autorin sind ebenso in die fiktive Handlung eingewoben worden wie die Erlebnisse von Zeitzeugen. Bereits im vorangestellten Autoreninterview wird deutlich, wieviel Herzblut in die Aufarbeitung dieses Themas, das lange Zeit als Tabu galt, geflossen ist. – Die im Sperrgebiet lebenden Menschen wurden besonders stark von der DDR-Regierung überwacht: viele von ihnen haben nicht nur jahrelang unter Schikanen gelitten, sie haben auch unverschuldet ihr Zuhause verloren, wurden zwangsumgesiedelt.

Hinsichtlich der Handlung spricht die Inhaltsangabe des Verlags für sich. Ich möchte nur so viel ergänzen: In diesem Roman, der zeitweise an Spannung jedem Krimi Konkurrenz machen könnte, steckt weitaus mehr als die Begegnung zweier Frauen (Milla und Christine), die sich gemeinsam daran machen, ein altes Familienrätsel aufzuklären, langersehnte Antworten zu finden, ein Unrecht anzuprangern und Frieden zu schließen – sei es mit der Vergangenheit oder ihren aktuellen Lebensumständen. Wir lesen von starken Frauen, Selbstfindung, der Sehnsucht nach Heimat, dem Wunsch nach Verbundenheit, der Wichtigkeit von Familie…zu einem Großteil vor dem Setting des Rennsteigs im Thüringer Wald, wo einst das mondäne Hotel Waldeshöh der ganze Stolz der Familie Dressel war. Auch die Frage nach dem Einfluss von Social Media auf unsere Selbstwahrnehmung wird angerissen. Erleben wir nur noch, um online darüber zu berichten? Definieren wir uns darüber, wie andere Menschen (– Fremde? –) uns wahrnehmen?

Erzählt wird aus mehreren Perspektiven und in verschiedenen Zeitebenen, die vom Jahr 1945 bis zur Gegenwart reichen. Ein großes Lob möchte ich der Autorin dafür aussprechen, wie es ihr gelungen ist, derlei unterschiedliche Handlungsstränge gekonnt abwechselnd aneinanderzureihen, dass sie nicht nur ein stimmiges Gesamtbild ergeben und einen tiefen Einblick in den Charakter der Figuren ermöglichen, sondern auch die Spannung konstant aufrechterhalten. Alle Kapitel bauen logisch aufeinander auf und die Handlung ist zu jeder Zeit verständlich; saubere Cuts zwischen den Handlungssträngen &/oder Erzählperspektiven verhindern jegliche Gefahr, den Überblick zu verlieren. Ich habe besonders die optimistische, durch und durch sympathische Figur Johanna als Inspiration empfunden und bewundere die Intensität, mit der die Autorin auch die Nebenfiguren so lebensnah beschrieben hat, dass man als Leser/in meint, Teil der betreffenden Familie zu sein. Der flüssige, mitreißende Schreibstil tut sein Übriges dazu, dass man das Buch am liebsten in einem Rutsch durchlesen möchte.

Das in kühlen Grautönen gehaltene Cover wirkt sehr nostalgisch und erinnert durch die geringe Farbintensität an eine ausgeblichene Fotografie, an eine Erinnerung (was gestalterisch sehr treffend in Bezug auf den Buchtitel ist). Die junge Frau in der Abbildung sieht nachdenklich aus; sie ist umgeben von Natur, scheint jedoch trotz der sie umgebenden Schönheit des Waldes bedrückt. Woran mag sie wohl denken?

Fazit: Dieser anspruchsvolle, emotionale Roman wirkt lange nach und sollte Pflichtlektüre für jeden Geschichtsunterricht mit DDR-Thematik werden. Ich habe mich nicht nur sehr gut unterhalten gefühlt, sondern auch etwas dazugelernt. Verdiente 5 Sterne, Bravo!