Rezension

Eine Warnung vor, oder eine Liebeserklärung an den Buchhandel

Tagebuch eines Buchhändlers - Shaun Bythell

Tagebuch eines Buchhändlers
von Shaun Bythell

Bewertet mit 4 Sternen

Donnerstag 22. Mai Die erste Kundin des Tages war eine Australierin, deren Unfähigkeit, den Buchstaben T auszusprechen, mich sehr verwirrt hat. Ich war mir nicht sicher, ob sie nach 'Noddy books' oder nach 'naughty books' im Sinne von unanständig fragt. Nachdem ich ihr den Bereich mit der Erotikliteratur gezeigt hatte, stellte sich heraus, dass es ihr doch um Enid Blyton ging.

Was mich bewogen hat, dieses Buch zu kaufen? Ganz einfach - es handelt von meinen beiden Lieblingsthemen: 'Bücher' und 'Schottland' man könnte also sagen - ich hatte keine Wahl.

 

Wigtown ist eine schottische Kleinstadt, die sich seit 1998 Schottlands erste Buchstadt nennen darf. Shaun Bythell hat hier das zweifelhafte Vergnügen, das größte Antiquariat Schottlands zu führen. Schonungslos offen berichtet er von seinem Alltag. Da geht es neben dem Verkauf von Büchern auch um den Ankauf privater Bibliotheken, Begegnungen mit Kunden, anonyme Postkarten und die alljährlichen Vorbereitungen des Literaturfestivals. Ein Jahr lang dürfen wir den Autor begleiten, beginnend mit dem 5. Februar 2014, an dem Shaun beschloss, ein Tagebuch zu beginnen.

 

Und genau das ist dieses Buch auch. Sicher finden sich hier einige humoristische Anekdoten, aber jeder kann sich glaube ich vorstellen, dass nicht jeder Tag lustig sein kann.

 

Anrufer: Hallo! Hallo! Ich glaube, ich habe die falsche Nummer gewählt. Ist das Allison Motors?

Ich: Sie haben tatsächlich die falsche Nummer. Das ist The Book Shop.

Anrufer: Egal, vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Haben Sie einen Generator für einen Vauxhall Nova auf Lager?

 

Manche Tage sind auch einfach nur anstrengend oder ärgerlich. Zum Beispiel, wenn das Online-Bestellportal mal wieder den Geist aufgibt oder ein Kunde unverschämt wird.

Aber es gibt auch die skurilen Stammkunden wie Mrs Phillips aus der Gegend um Dumfries - Ich bin dreiundneunzig Jahre alt und blind, wissen Sie. - und Sandy den tätowierten Heiden, der nur äußerlich roh wirkt und seine Bücher von seinem im Laden angehäuften Guthaben besorgt, denn er lässt Shaun seine selbstgeschnitzten Spazierstöcke verkaufen. Oder den an Alzheimer leidenden Mr Deacon.

Sie alle gewinnt man genauso lieb, wie die Angestellte Nicky, die auf ihre sehr spezielle Weise alles tut um den Laden voran zu bringen und dabei geflissentlich Shauns Anweisungen ignoriert.

Über Shaun selbst, erfährt man eine Menge. Unter anderem angelt und liest er gerne - weshalb ich ihm auch die Aussage nicht abnehme, dass Bücher für ihn ihren Zauber verlieren, sobald sie in seinen Bestand übergehen.

Die Titel der Bücher, die er liest, klingen für mich auf den ersten Blick zwar nicht reizvoll, aber die Art, wie er darüber schreibt macht mich doch neugierig. Ich habe einiges für mich aus diesem Buch mitnehmen dürfen, dass über die klare Aufforderung den lokalen Buchhandel zu unterstützen hinaus geht. Gefallen haben mir die jedem Monat vorangestellten Zitate aus George Orwells: Erinnerungen an eine Buchhandlung. Erstaunlich wenig hat sich seit jenen Tagen verändert, wenn Shaun danach diese Zitate aus seiner Sicht kommentiert.

 

Man kann das Buch als Warnung vor dem Beruf, aber auch als Liebeserklärung verstehen. Shaun legt uns seine Tageseinnahmen offen und die sind maches Mal so erschreckend niedrig, dass ich mich frage, wovon der Mann eigentlich lebt. Man freut sich über jedes Mal, wenn die Einnahmen dreistellig werden und sieht deutlich, zu welcher Jahreszeit die besten Umsätze gemacht werden - und das sind nicht die Weihnachtstage.

HUT ab vor dem Mann, der einen Kindle erschoss und tapfer gegen Amazon ankämpft.

 

Kleine Bemerkung von mir: warum es eine schlechte Idee ist, jetzt noch bei Amazon zu bestellen: 

Sie versenden ihre Bücher nun in Plastiksäcken statt hübsch in Papkartons, wie bisher. Alle Welt spricht von Plastikvermeidung und was tut Amazon? Davon abgesehen, dass solche Bücher gerne ramponiert beim Besteller eintreffen. Also da gehe ich doch lieber in meine kleine Buchhandlung nebenan (nein, auch nicht zu Thalia) und bestelle in dem guten Gewissen, jemanden unterstützt zu haben und mein Buch morgen zu besitzen.