Rezension

Geld regiert die Welt

Die Mächtigen -

Die Mächtigen
von Lucas Fassnacht

Bewertet mit 3.5 Sternen

Mein erstes eigenes Konto habe ich während meines Abiturs eröffnet. Damals musste man dafür noch persönlich zur Bank seines Vertrauens gehen. Überweisungen funktionierten mit einem Formular in Papierform. Meine EC-Karte habe ich damals eigentlich nur genutzt, um Bargeld vom Automaten abzuheben oder Kontoauszüge auszudrucken. Wenige Jahre später ging die Kontoeröffnung schon übers Internet und heute ist es für mich fast selbstverständlich mit einer App meine Rechnungen zu bezahlen. Und dennoch gehöre ich wahrscheinlich zu den konservativen Kunden, riskiere nichts auf dem Aktienmarkt und habe im Frühjahr interessiert die Menschenschlangen vor den Goldhandlungen beobachtet, die mit der beginnenden Pandemie und dem Wirecard-Skandal wohl auf Nummer sicher gehen wollten, falls das Bankensystem zusammenbricht. Eingereiht habe ich mich allerdings nicht. Aber unsicher und misstrauisch bin ich seit der Bankenkrise 2009 auf jeden Fall. Die technischen Neuerungen nehmen seit Jahren Fahrt auf, Onlinebanking ist zum Standard geworden, die Banken schließen ihre Filialen eine nach der anderen. Was technisch hinter meiner Bank-App steht, kann ich nicht erfassen und nur hoffen, dass es so sicher ist, wie die Banken sagen.

Lucas Fassnacht gibt sich nicht mit diesen kleinen Bausteinen ab. Er nimmt das ganze große virtuelle Gerüst der Finanzwelt in den Blick und baut drum herum einen mörderischen Thriller, dessen Theorien mir zu gleichen Teilen weit hergeholt und glaubhaft erscheinen. Beim Lesen erwische ich mich ständig dabei, wie ich zustimmend den Kopf nicke und vor mich hinmurmle, dass die Wirklichkeit wahrscheinlich noch viel schlimmer ist. „Die da oben“ wird zu meinem Mantra, dass mich allerdings nicht beruhigt, sondern mich zuweilen zweifeln lässt, ob ich wohl nun auch dem Verschwörungsglauben verfallen bin. So wenig ich von der Finanzwelt und vor allem der Finanzsoftware Ahnung habe, so schnell erschließt sich mir die Gefahr, die Fassnacht in seinem Thriller aufzeigt. Ein eigenes europäisches elektronisches Überweisungssystem, über das alle finanziellen Transaktionen abgewickelt werden sollen, um sich vor dem Zugriff der Amerikaner zu schützen. Die Abschaffung des Bargeldes schwebt im Raum. Der gläserne Bürger ist zum Greifen nah. Wer dieses System kontrolliert, kontrolliert die Welt. Ist es wirklich reine Fiktion, wenn Russland, Amerika und China hier versuchen, eigene Hintertüren zu implementieren?

Als Gegenpol zur technischen Seite wirft Fassnacht klassische Thriller-Charaktere in die Handlung. Als weiblicher Bruce Willis (oder Tom Cruise, wem der lieber ist) wechselt Anna-Lena Herbst die Seiten und unterstützt die Unterdrückten und Geknechteten – hier IT-Spezialisten und Hacker-Nerds - als top ausgebildete Elitekampfsoldatin. Sie nimmt es mit jeder vielköpfigen Spezialeinheit im Alleingang auf, erfolgreich bis zum Schluss versteht sich.

Mit seinen anderen Figuren geht der Autor nicht so zimperlich um. In diesem Thriller kann jeder sterben. Es erinnert ein wenig an den ersten Band von Game of Thrones, in dem die vermeintlichen Hauptcharaktere einer nach dem anderen den für sich und den Leser überraschenden Tod fand. Dieses erzählerische Vorgehen sorgt auf meiner gemütlichen Lesecouch für reichlich innere Unruhe. Fassnachts Figuren sind überspitzt und glaubhaft zugleich. Die Machtstellung, die Konzernleitung oder

Ministerposten mit sich bringen, bringt das Schlechteste im Menschen zum Vorschein, verschiebt die Grenzen des Möglichen. Moral und Recht scheint keine Rolle zu spielen. Nicht erwischt werden ist das Credo und Instrument zum Machterhalt.

Fassnacht ist relativ dicht dran an seinen Figuren, nimmt ihre Perspektiven ein und wirft ihre inneren Monologe dem Leser pointiert vor die Füße. Ein sehr spannungsgeladenes Erzählen, dass einen guten Kontrast bildet zu den zahlreichen Finanz- und IT-Fakten, die nötig sind, um die Handlung inhaltlich auf ein solides, glaubhaftes Fundament zu stellen. Ob für den Handlungsverlauf tatsächlich so viele Leichen nötig gewesen wären, darüber könnte man diskutieren. Mir hat der Roman allerdings nicht wegen seiner blutigen Gewalt unruhige Nächte beschert. Die zwischen den Zeilen durchschimmernde kritische Haltung des Autors zu den Gefahren unserer immer digitaler werdenden Welt, habe ich als Warnung und als Aufruf zum Hinterfragen von vermeintlichen Gegebenheiten gelesen.