Rezension

Genial geschrieben. Szenisch wie im Film

Lichtspiel -

Lichtspiel
von Daniel Kehlmann

Nazi-Zeit - Kunst in der Nazizeit - Film - Kino - Regisseur - G.W. Pabst - Greta Garbo - Hollywood in der Nazizeit - Emigration oder Bleiben - Kunst und Anpassung - Kunst und Politik - Wie weit geht man für die Kunst? - Hybris - 2. Weltkrieg

Wir hatten einen interessante Abend im Lesekreis mit dem neuen Buch von Daniel Kehlmann. Lichtspiel erzählt vom Film. Und entsprechend hat der Autor diesen Roman auch geschrieben: Szene, Wechsel Perspektive, Schnitt. Eindrucksvoll. Genial auch der Bogen vom Prolog mit dem halb-dementen ehemaligen Regieassistenten, der am Ende noch einmal auftaucht.

Dreh- und Angelpunkt ist die (historische) Person des Regisseurs G.W. Pabst. In der Stummfilmzeit berühmt als "Roter Pabst". Er hat die Garbo groß gemacht und Louise Brooks, hat mit allen berühmten Schauspielern gearbeitet und hatte dann eigentlich vor, Hollywood zu erobern und den Nazis zu entgehen. Das hat nicht geklappt. Er konnte zu wenig Englisch, er war nicht bereit, sich auf die vollkommen anderen Verhältnisse und Umgangsformen in den USA einzustellen und aus einer ziemlich ausgeprägten Hybris heraus wollte er auch nicht als Regieassistent arbeiten, als sein erster Hollywoodfilm scheiterte. Statt dessen ist er mit der Familie zurück nach Frankreich und als sich dort die Projekte auch zerschlugen, wollte er nach seiner zunehmend dementen Mutter in Österreich sehen, damals schon "Ostmark". Das war eine Falle, aus der er nicht mehr herauskam. Die Nazi-Hausmeister-Familie hat das Regiment auf dem "Schloss" übernommen (eher so ein verfallenes Teil inmitten der Steiermark, auch so eine falsche Entscheidung von Pabst) und der Krieg bricht aus. Die Familie sitzt fest und Pabst wird von den Nazis angeworben, für sie Filme zu produzieren. Da der Regisseur außerhalb seines Wirkens eher unfähig fürs Leben zu sein scheint, blüht er auf. Stellt sich aber schon die Frage, ob Kunst und Anpassung und Politik überhaupt zusammengehen und ob die Kunst alles rechtfertigt. Ein wichtiges Thema, oft literarisch oder filmisch verarbeitet. Hier zentral, für mich persönlich spielten jedoch die Systeme innerhalb der Familie und innerhalb der Gesellschaft die wichtigste Rolle.

Leider fragt der Protagonist sich nämlich viel zu wenig, was er seiner Familie mit all dem antut. Seine Frau sieht sich als plötzlich komplett abhängige Ehefrau und muss sich in Nazi-Lesekreisen arrangieren (es wird nur ein einziger Autor gelesen: Karrasch) und sein Sohn? Der muss das tun, was alle Kinder tun: Sich anpassen, um nicht unterzugehen. Zuerst Schüler in Los Angeles, dann in Frankreich, dann kurz in der Schweiz, dann in der Steiermark und schließlich im Internat Salem: Der (fiktive) Sohn Jakob wird ein begeisterter HJ-ler und will unbedingt in den Krieg...er wird bitter dafür bezahlen. Pabst auch und seine Frau auch. Und eigentlich alle. Toxische Männlichkeit, wohin man auch blickt. Realistich. Kehlmann hat seinen Protagonisten im Roman fiktionalisiert. Ich habe vieles nachgelesen, einiges ist Fiktion. So hatte Pabst zwar Söhne, aber keinen, der Jakob heißt. Und es gab auch keinen Kuno, der ihn an den Propagandaminister vermittelte. Den Film "Der Fall Molander" gab es zwar - er ist aber verschollen. Laut Roman wissen wir nun, wieso und wohin. Aber natürlich auch Fiktion.

Sehr beeindruckt war ich wieder einmal vom Schreibstil von Kehlmann. Die vielen Perspektiven, diese Schlaglichter, die plötzlich aufleuchten und enden, dann ein Szenenwechsel, dann eine neue Perspektive. Perfekt passend zum Inhalt, perfekt kombiniert. Dazu eine Rundum-Betrachtung der damaligen Zustände, ohne eindeutige Schwarz-Weiß-Malerei (wobei ich persönlich schon den Eindruck hatte, dass Kehlmann darstellen wollte, dass die Frau von Pabst die eigentlich Fähigere gewesen wäre, um durch diese Umstände zu navigieren....?). Über den Protagonisten habe ich mich persönlich geärgert, ich hätte mich auch gar nicht für ihn interessiert. Inzwischen ist Pabst auch weitgehend vergessen. Aber es ist das Verdient von Daniel Kehlmann, dass er dermaßen mitreißend, spannend und vielschichtig schreibt, dass ich als Leserin einfach nur begeistert war.