Rezension

"Gibt's kein höheres Übel doch als den Verlust der Heimat." (Euripides)

So weit die Störche ziehen - Theresia Graw

So weit die Störche ziehen
von Theresia Graw

Bewertet mit 5 Sternen

1939. im beschaulichen Ostpreußen auf dem Land ist 16-jährige Dora Twardy auf dem Pferdegestüt ihrer Eltern wohlbehütet und weit weg vom Kriegsgeschehen, dass sich immer mehr über ganz Europa ausbreitet. Zum ersten Mal ist sie verliebt und gönnt sich ein besonderes Kleid, um bei einer Hochzeitsgesellschaft herauszustechen und das Herz ihrer heimlichen Liebe Wilhelm von Lengendorff zu erobern. Aber dann verändert sich die Welt von einem auf den anderen Moment, denn die Deutschen haben sich die Eroberung Polens auf die Fahne geschrieben und marschieren in Doras Heimat ein. Ihr Vater, Bruder Hans und auch Wilhelm werden an die Front geschickt, während das Schicksal des Gutshofes in Doras Hände gelegt wird. Dort ist vom Kriegsgeschehen noch nicht viel zu spüren, aber Dora hat alle Hände voll zu tun, als die ersten Zwangsarbeiter das Gut erreichen und ihre geliebten Pferde für den Krieg beschlagnahmt werden. Der Krieg kommt immer näher und zwingt die Familie bald zur Flucht…

Theresia Graw hat mit „So weit die Störche ziehen“ einen wunderschönen fesselnden historischen Roman vorgelegt, in dem sie große Teile der eigenen Familiengeschichte mit fiktiven Elementen verbindet. Der flüssig-leichte, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil packt den Leser vom ersten Moment an, zieht ihn in die Handlung hinein und schickt ihn auf Zeitreise, um das Leben von Dora und ihrer Familie hautnah miterleben zu können. Lässt die Autorin den Leser zuerst noch eine ländliche Idylle im malerischen Ostpreußen erleben, wo die Dorfgemeinschaft zusammenhält und eine Landhochzeit ein gesellschaftliches Ereignis darstellt, kündigt sich unterschwellig schon die drohende Gefahr durch den Krieg an, der dann mit aller Macht über alle hereinbricht und ihnen die Liebsten nimmt, um sie an die Front zu schicken. Das tägliche Leben auf dem Gestüt geht zwar normal weiter, liegt allerdings jetzt in den Händen einer jungen Frau, die erst in diese Aufgabe hineinwachsen muss, wurde sie doch bisher eher verwöhnt als zur Verantwortung herangezogen. Lebendig schildert die Autorin nicht nur das Leben und die Arbeit auf dem Hof, sondern auch das Kriegsgeschehen brennt sich in die Netzhaut des Lesers während der Lektüre, immer mit dem Gedanken, dass wahrhaftige Schicksale hinter dieser Geschichte stehen. Der Spannungsbogen wird zuerst gemächlich angelegt, steigert sich dann aber während der Handlung immer weiter in die Höhe und lässt den Leser eine wahre Gefühlsachterbahn durchlaufen.

Die Charaktere sind sehr liebevoll inszeniert und sprühen vor Leben, so dass man das Gefühl hat, sie leibhaftig an der Seite zu haben. Sie überzeugen mit realistischen Eigenschaften und Handlungsweisen, die den Leser mit ihnen leiden, bangen, hoffen und fiebern lassen. Dora zeigt sich zuerst von ihrer verwöhnten, lebenslustigen, aber auch naiven Seite, doch muss sie schnell erwachsen werden und Verantwortung übernehmen. Doch sie nimmt die Herausforderung an und stellt sich mutig und entschlossen allen Widrigkeiten. Wilhelm ist ein zurückhaltender und sanftmütiger Mann, der Doras Herz schnell erobert hat. Curt von Thorau ist ein Lebenskünstler und Abenteurer, der sich für ein gutes Foto in Gefahr begibt. Aber auch Doras Mutter Vera, Philippe, Kinderfrau Erna oder der Offizier Michail machen die Handlung mit ihren Auftritten spannend und abwechslungsreich.

„So weit die Störche ziehen“ ist eine fesselnde, berührende und wunderbar in Worte verpackte Geschichte über die Familie, die heimischen Wurzeln, die Liebe und den Krieg mit all seinem Schrecken. Absolute Leseempfehlung für ein echtes Lesehighlight – Chapeau – besser geht es nicht!!!