Rezension

Hervorragender historischer Roman über Katharina II.

Die Zarin und der Philosoph - Martina Sahler

Die Zarin und der Philosoph
von Martina Sahler

Bewertet mit 5 Sternen

Russland, 1762: Nach einem Putsch und dem Tod des Zaren Peter III. lässt sich seine Witwe Katharina zur Zarin krönen und besteigt als Katharina II. den Thron. Die Deutsche auf dem Zarenthron will ihre Hauptstadt St. Petersburg zur politischen und kulturellen Blüte bringen und zeigen, dass Russland nicht rückständig und sie eine weltoffene Herrscherin ist, und fördert deshalb Kunst, Literatur und Philosophie in der Stadt. Preußenkönig Friedrich II. traut ihr nicht und entsendet den jungen Philosophen Stephan Mervier und seine Frau Johanna, eine Malerin, nach St. Petersburg. Mervier soll an Katharinas Hof und in der Stadt Fuß fassen und Friedrich über Katharinas Plänen auf dem Laufenden halten. Während Stephan am Hof und außerhalb in philosophischen Zirkeln diskutiert und seine Frau auf den Durchbruch als Malerin hofft, schwelt es im Riesenreich. Es regt sich Widerstand in allen Teilen der Bevölkerung, und Katharina ahnt nicht, dass selbst in ihrem engsten Umfeld ein Verräter lauert….

Schlichtweg großartig! Ein toller Historienschmöker, der keine Wünsche offenlässt, nahe an den geschichtlichen Fakten und doch leidenschaftlich und packend. Die Autorin verfügt nicht nur über fundiertes Wissen, sie verpackt dieses in eine fesselnde, zu Herzen gehende Geschichte mit viel Herzblut und sehr authentischen Figuren. Ihr Schreibstil ist gehoben und dennoch sehr eingängig, ihre Sprache anschaulich ohne kitschig zu sein, sie lässt die Stadt vor unserem inneren Auge entstehen, lässt Menschen und ihre Geschichte lebendig werden. Der Leser taucht ein in ein farbenprächtiges Panorama und gewinnt außerdem tiefste Einblicke in das Seelenleben der Protagonisten. Fast nebenher erlangt der Leser großes Wissen in Katharinas Politik, aber noch viel spannender sind die zwischenmenschlichen Beziehungen, die unverhofften und oft überraschenden Freundschaften und Allianzen, die sich bilden. Die Autorin versteht es meisterhaft, die verschiedenen Perspektiven und Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen, so dass es nicht eine Sekunde langweilig wird. Der Leser erhält so tiefe Einblicke in alle gesellschaftlichen Schichten, vom Leibeigenen und Aufrührer bis zum Hofstaat, und erfährt, was die Menschen motiviert und umtreibt, von ihren Ängsten und Zweifeln, ihrem Mut und ihrer Opferbereitschaft.

Das Buch wimmelt von interessanten Charakteren, auch wenn natürlich einige Nebenfiguren bleiben und die Autorin, wie sie selbst sagt, aufgrund der Fülle an Informationen über Katharina und der Menge an Personen in ihrem Umfeld naturgemäß eine Auswahl treffen musste. Dafür sind diejenigen, die im Buch vorkommen, umso vielschichtiger angelegt, jeder ist besonders in seiner Persönlichkeit und viele machen im Laufe der rund dreizehn Jahre, in denen das Geschehen stattfindet, eine starke Entwicklung durch. Dass die Handlung in einem Zeitrahmen von dreizehn Jahren spielt, macht die Geschichte kompakt und übersichtlich und sie lässt sich leichter verfolgen, ein Pro- und ein Epilog geben ihr zudem einen Rahmen und umschließen sie gleichsam aufs Trefflichste. Formal ist das Geschehen in drei Bücher unterteilt mit fortlaufenden Kapiteln. Sehr hilfreich sind Zeittafel und Personenregister am Anfang des Buches.

Als herausragender Charakter sticht natürlich Katharina hervor. Sie ist eine extrem starke, aber auch zwiespältige Persönlichkeit. Man muss sie für vieles bewundern, aber auch für einiges kritisieren. Die Autorin zeigt den Menschen hinter der Monarchin, eine Frau, die sich durchzusetzen weiß, die um Anerkennung und Liebe ringt, die hochintelligent ist, aber dennoch oft ein anderes Selbstbild hat als ihre Umgebung und ihr Volk von ihr haben. Sie lässt einerseits die Kultur in ihrer Stadt erblühen, fördert Künstler, Literaten und Philosophen, errichtet Bildungsstätten, setzt Reformen durch, herrscht aber andererseits als Autokratin und Despotin und schlägt Rebellionen blutig nieder, umgibt sich mit Jasagern und Schmeichlern und macht die Leibeigenschaft im Land stärker denn je. Aufs tiefste gedemütigt durch den Verrat in ihrem engsten Umfeld, lässt sie trotz der großen menschlichen Enttäuschung am Ende doch Gnade walten, überwältigt von einem großen Liebesbeweis.

Die für mich faszinierendste Figur neben Katharina war übrigens nicht der titelgebende Philosoph Mervier – er beeindruckte mich erst am Schluss -, sondern Katharinas Ziehkind Sonja sowie Merviers Frau Johanna. Erstere ist eine originelle Person, deren Geschichte sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht und die eigentlich immer präsent ist. Über sie würde ich liebend gern mehr lesen. Letztere macht meines Erachtens den deutlichsten Wandel durch. Johanna entwickelt sich von einer schüchternen, von Selbstzweifeln geplagten und anfangs depressiven schwachen Person zu einer erfolgreichen Künstlerin, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, schließlich zu ihrer Liebe steht und ihren Weg geht. Überhaupt beeindruckend, wie besonders die Frauen im Buch in einer für Frauen allgemein schwierigen Zeit sich behaupten und mit aller Kraft versuchen zu überleben.

Fazit: ein absolut lesenswerter Roman, der alles vereint, was einen historischen Roman ausmacht – besser geht einfach nicht. Dass die Autorin erfolgreich Bücher und besonders im historischen Kontext angesiedelte Romane schreiben kann, hat sie hinlänglich bewiesen, doch ihre St Petersburg-Romane setzen noch einen drauf und bestechen durch Detailgenauigkeit und Liebe zu Land, Leuten und Geschichte. Wer sie noch nicht kennt, wird spätestens jetzt ein Fan und darf sich hoffentlich auf noch viele weitere Bände freuen!