Rezension

Im Zweifel für den Angeklagten

Unschuldslamm - Judith Arendt

Unschuldslamm
von Judith Arendt

Bewertet mit 4 Sternen

Nach ihrer Scheidung hat sich Ruth Holländer längst damit abgefunden, dass sie von ihrem Ex-Mann Johannes kaum Unterstützung bei der Erziehung der beiden gemeinsamen Kinder zu erwarten hat. Die Unterhaltszahlung treffen auch eher spärlich ein, sodass Ruth froh sein kann, dass ihr französisches Bistro mittlerweile gut läuft und Gewinn abwirft. Der Alltag lässt sich zwar nicht immer stressfrei bewältigen, doch insgesamt gesehen hat Ruth das Gefühl, alles einigermaßen im Griff zu haben, denn die Kinder sind mittlerweile aus dem Gröbsten raus. Kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag bekommt Ruth allerdings unerwartete Post. Sie wird in das Schöffenamt berufen und muss nun als Laienrichterin bei Gericht erscheinen. Bereits ihr erster Fall geht ihr sehr nahe, denn das Gericht muss herausfinden, ob ein junger Kurde tatsächlich seine Schwester ermordet hat, weil sie sich mit einem deutschen Jungen eingelassen hat. Da die junge Kurdin nur wenig älter war als Ruths Tochter, lässt dieser Fall ihr keine Ruhe mehr.....

|| Meine Meinung ||

 

"Unschuldslamm" ist Ruth Holländers erste Bekanntschaft mit ihrem neuen Amt als Schöffin. Die äußerst sympathische Endvierzigerin ahnt zunächst nicht, was vor Gericht von ihr verlangt wird und wie sie ihrem neuen Amt gerecht werden kann. Gemeinsam mit ihr wird man an die Aufgaben, Rechte und Pflichten herangeführt. Im Klappentext wird eine Kriminalhandlung angekündigt, in der Ruth selbst auf Spurensuche geht. Das ist etwas irreführend, denn man könnte nun vermuten, dass Ruth auf eigene Faust nachforscht und dabei Entdeckungen macht, die für die Urteilsfindung entscheidend sind. Das ist allerdings nicht ganz richtig, denn Ruth liest sich zwar Hintergrundwissen über den Mord an der jungen Kurdin an, doch von echter Ermittlungsarbeit kann man dabei sicher nicht sprechen.

Das tut der Spannung allerdings keinen Abbruch. Denn Judith Arendt versteht es bereits von Anfang an, das Interesse am Schicksal der ermordeten Derya zu wecken. Durch Rückblicke in die Ereignisse, die dem Mord vorangegangen sind, erfährt man häppchenweise, was sich in der Heimat der Kurdin zugetragen hat und in welchem Ausmaß diese Ereignisse sich mit dem späteren Mord verknüpfen werden. Die Autorin verrät dabei nie zu viel, sodass man sich eigene Gedanken machen kann. Gemeinsam mit Ruth Holländer stellt man dabei fest, dass Deryas Bruder, der ja unter Verdacht steht, an seiner Schwester einen "Ehrenmord" begangen zu haben, gar kein Macho-Typ ist. Er hat ein sehr liebevolles Verhältnis zur Schwester gehabt. Steckt etwa ein ganz anderes Motiv hinter der Tat oder kann der junge Kurde alle täuschen?

Ruths Tochter ist fast genau in dem Alter, in dem auch Derya war. Deshalb geht die Ermordung Ruth sehr nahe. Das macht die Hauptprotagonistin sehr sympathisch. Sie wirkt überhaupt sehr glaubhaft und authentisch. Denn Ruth Holländer ist keine typische Heldin, sondern eine ganz normale Frau, die mit Alltagsproblemen zu kämpfen hat. Diese Probleme bilden eine gelungene Hintergrundkulisse. Sie drängen sich nicht zu sehr in den Vordergrund der Handlung, dennoch hat man das Gefühl, Ruth dadurch genauer kennenzulernen und ihr Handeln und Denken besser zu verstehen.

"Unschuldslamm" ist ein eher ruhiger Krimi, den man aber dennoch voller Interesse verfolgt. Durch die Beschreibungen der Autorin hat man das Gefühl direkt dabei zu sein und alles mitzuerleben. Die Hauptprotagonistin wirkt sehr lebendig. Die Handlung baut sich langsam und glaubhaft auf, sodass man keinen Moment den Eindruck hat, dass die Erzählung zu konstruiert wirkt.

Ich habe mich beim Lesen sehr gut unterhalten und warte gespannt auf die nächsten Verhandlungen, in denen Ruth Holländer als Schöffin eingesetzt wird.