Rezension

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Nicht gelesen, sondern inhaliert. :)

Unschuldslamm - Judith Arendt

Unschuldslamm
von Judith Arendt

Bewertet mit 5 Sternen

Erster Eindruck nach 50 Seiten:
Das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt. Es beginnt nicht in der Gegenwart, sondern bei einer Handlung vor der Tat, bei Derya – dem späteren Opfer – selbst. Die Protagonistin Ruth finde ich vom ersten “Snooze” an sympathisch. Also quasi von ihrer ersten Erwähnung an. Liegt vielleicht auch daran, dass sie an diesem Morgen genauso verpeilt ist wie ich. Generell erscheint sie mir bis hierher wesentlich jünger als sie sein sollte, aber das ist vielleicht auch dem 50 = alt Vorurteil geschuldet.  [;)]  An meiner Sympathie zu ihr ändert sich jedenfalls den ganzen Abschnitt lang nichts. Ich mag sie sehr gerne. 

Zunächst war ich genervt, dass man über das Schöffen-Sein so gar nichts erfährt, aber wenn Ruth selbst so ins kalte Wasser geworfen wird – und sich selbst nicht vorbereitet – ist es klar, dass man uns auch nichts erzählen kann. 

Es las sich wie gesagt von Anfang an sehr gut, doch dann gab es kurz vor Seite 50 die erste Rückblende. Mit Rückblenden hatte ich nicht gerechnet und sie gefallen mir sehr. Ich bin ein Fan von Büchern die nicht in gerader Linie erzählt werden und umso erfreuter war ich als es dann plötzlich den ersten Sprung zurück gab. 

Irritiert hat mich, dass es bereits vor Seite 50 so viele Menschen gibt die ich jetzt schon scheiße finde. *hust* Sonst fokussiert sich meine Abneigung meistens auf eine Person. Hier konnte ich mich gar nicht entscheiden. Staatsanwalt? Alter Richter? Schöffen-Kollege? Doch dann kam die Mutter von Derjas Freund.. und die toppte erst mal alles. Orr! 

Inhalt:
Wie gesagt beginnt das Buch vor der aktuellen Handlung. Was für mich am Anfang wie ein Prolog aussieht, entpuppt sich später als die erste Rückblende. Die Geschichte springt immer von Ruth (ab November) zurück in den Sommer, in dem Derya noch lebte und dann ermordet wurde.

Das Buch behandelt sowohl den Fall und dessen Gerichtsverhandlung, als auch einen Großteil von Ruths Privatleben. Nicht alles davon ist für diesen Fall relevant, aber es liefert sämtliche Informationen die man bei einer Serie – und das soll es ja werden – so benötigt. Abgesehen davon ist Ruth ja sehr sympathisch. ^^

Es springt nicht nur die Zeitstruktur, sondern auch die Erzählperspektive. Man begleitet nicht nur Ruth, sondern auch mal Derya, ihren Freund oder eine Verwandte von ihr. Dabei wird nicht einfach nur “erzählt”, es werden auch Polizeiprotokolle, Zeitungsartikel und Zeugenbefragungen eingefügt, die das ganze noch mal ein wenig auflockern.

Die einzelnen Kapitel beginnen mit einer ungefähren Zeitangabe und einer genauen Ortsangabe. Das hat mich dann dazu gebracht irgendwann mal alle Straßen bei Maps einzugeben und mir einen Überblick zu verschaffen. Der Großteil des Buches spielt nämlich in Berlin und ich mag Berlin.  [;)]

Da es sich bei dem Fall um einen Ehrenmord handeln soll, bekommt man auch aus mehreren Perspektiven Einblick in die Gefüge der kurdischen Familie, erfährt etwas über die Hintergründe von “Zwangsheirat” oder auch warum Sergul (die oben erwähnte Verwandte) so westlich leben darf.

Zitat:
“Die Angst fiel von ihr ab, und Derya wusste, dass sie gleich in Sicherheit und bald zu Hause sein würde. Da fasste ihr von hinten jemand an die Schulter. Derya drehte sich um und war überrascht.” (S. 51)

Fazit:
Mich begeistert das Buch. Ich habe es innerhalb von 48 Stunden gelesen und habe es nur aus der Hand gelegt wenn ich unbedingt musste. War ich nicht alleine hab ich mich darauf gefreut auf dem Rückweg wieder lesen zu können. Für mich gänzlich untypisch hab ich auch am Schreibtisch gelesen, während irgendetwas geladen hat oder ähnliches. Bloß keine Sekunde vergeuden.

Ich mag Ruth und ihren Umgang mit dem Fall, mit ihrer Familie und generell wie sie so lebt. Sie ist durch und durch sympathisch und an ihr gibt es nichts was mich irgendwie stört.

Die Rückblenden begeistern mich hier besonders, weil sie so treffsicher gesetzt sind. Nachdem ich kürzlich ja ein Buch lesen “durfte” welches mich nicht so begeistert hat und wo es auch Rückblenden gab, bin ich hier einfach noch mal extra beeindruckt davon wie gut sie gesetzt sind. Immer an der richtigen Stelle um die Spannung zu erhöhen. Immer wenn es gerade den Verdacht auf eine bestimmte Person gibt und dann die plötzliche Wende durch die Rückblende.

Die Thematik ist wichtig und es ist wirklich mutig – wie jemand anderes in der Leserunde auch sagte – dass man daraus einen Roman macht. An vielen Stellen hat es mich wütend gemacht, was aber dem Thema geschuldet ist und sicherlich nicht am Buch lag. 

Manche Sachen haben für ich irgendwie keinen Sinn oder Platz. So zum Beispiel Ruths Ex-Mann oder im weiteren Verlauf ihre Schwester. Aber vermutlich werden die in der Fortsetzung noch wichtig sein (sagte die Autorin ;)) und dann ist es wieder ganz gut, dass sie erwähnt worden sind. Abgesehen davon können sie den guten Eindruck des Buches auch nicht schmälern.

Auch wenn das Ende jetzt nicht so überraschend war, sondern in meinen Augen eine logische Schlussfolgerung, so war der Weg zu diesem Ergebnis einfach unglaublich gut erzählt und spannend und das ohne absurde Wendung die einem die Haare zu Berge stehen lassen, weil da plötzlich eine Wendung hin muss.

Ich müsste schon sehr kleinlich werden, wenn ich jetzt hier einen Stern abziehen wollen würde. 

Kommentare

Mikesch kommentierte am 19. Januar 2014 um 08:23

Super Rezension - du sprichst mir aus der Seele :-)

Judith Arendt kommentierte am 19. Januar 2014 um 16:54

Ja, eine super Kritik, ganz toll! Ich habe ein kleines Zitat auf meiner FB-Seite gepostet - gerade eben, ohne zu fragen. *schäm.... Ich nehme es aber sofort runter, wenn du möchtest!

Liebe Grüße, Judith