Rezension

Junge Eltern in der Kleinstadt "Heimvolkshochschule"

Meter pro Sekunde
von Stine Pilgaard

Bewertet mit 4 Sternen

Stine Pilgaards Icherzählerin ist mit ihrem Partner und dem noch namenlosen gemeinsamen Baby nach Velling/bei Ringkøbing in Westjütland gezogen, weil er eine Stelle als Lehrer in einer Heimvolkshochschule antreten wird. Die Schule soll jungen Schulabgängern mit Handwerks- und Musikkursen die Berufsorientierung erleichtern. Eine Art verlängerte Kindheit, die mancher später in den rosigsten Tönen schildern wird. Für Stine bedeutet der Umzug, dass sie mit in der Lehrerwohnung auf dem Schulgelände leben muss und unter Druck steht, zu heiraten und ihr Kind taufen zu lassen. Die Schulleiterin hat ihren Standpunkt dazu entschieden vertreten.“Vor 30 Jahren hatten wir auch Kinder und haben keinen Aufstand gemacht, sie waren einfach mit dabei.“ Von der jungen Frau wird erwartet, dass sie Grenzen anderer Menschen respektiert, aber klaglos die Taktlosigkeiten ihr gegenüber erträgt.  Oberflächlich gesehen in eine Idylle wie in Astrid Lindgrens Kinderbüchern geraten, macht sich Pilgaards Protagonistin daran, vor aller Leute Augen ihre Elternrolle nicht zu perfektionistisch zu nehmen, endlich den Führerschein zu schaffen und ihre neue Stelle als Kummerkasten-Tante der Lokalzeitung auszufüllen. Allein ihre Beziehung zu wechselnden Fahrlehrern bildet innerhalb des Romans eine eigene Fortsetzungsgeschichte …  Freundin Krisser, die gerade mit ihrem Mann gemeinsam das Hotel im Ort gekauft hatte, ist zwischen den widersprüchlichen Erwartungen der Kleinstadt "Schule" die einzige Stütze – und spart nicht mit Ratschlägen. In einer Situation, in der Beruf und Privatleben schwer zu trennen sind, scheint Velling geradezu eine Brutstätte für Konflikte zu sein. Während Lehrer Sebastian in kürzester Zeit wie ein Popstar angebetet wird, therapiert die neue Kummerkasten-Redakteurin sich mit  Antworten an die Einsender selbst. Sie übersieht, dass Menschen sich  ausheulen, aber selten Ratschläge hören wollen.

Heimvolkshochschule und Lokalzeitung samt Kummerkasten-Kolumne erzeugen eine leicht plüschige Atmosphäre, in die Pilgaard - klug beobachtet - den Drei-Sprung junger Eltern setzt, ihren hohen Ansprüchen als Eltern und zugleich den Vorstellungen Fremder zu entsprechen. Dass diese Eltern-Generation übelst nerven kann, darüber darf man als Leser/in hier so hemmungslos grinsen wie über den teils atemlosen Ohne-Punkt-und-Komma-Stil der Erzählerin.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 10. März 2022 um 08:56

Gab es weder Punkt noch Komma? Ist mir gar nicht aufgefallen, muss ich noch mal reingucken.

Buchdoktor kommentierte am 10. März 2022 um 09:42

Doch es gab. Sie denkt und schreibt, als ob es keine gäbe ...