Rezension

"Kinder sind nicht nur kleine Engel. Ganz im Gegenteil"

Kleine Monster -

Kleine Monster
von Jessica Lind

Bewertet mit 3 Sternen

Den Roman "Kleine Monster" von Jessica Lind wollte ich unbedingt lesen. Schon Linds Erstling "Mama", eine Art Schauerroman, der die Urgewalt der Mutterschaft thematisiert, sehr roh zwischen Traum und Wirklichkeit jongliert und einen mit einem sehr beklemmenden Gefühl zurücklässt, fand ich wahnsinnig toll. So etwas ähnliches erwartete ich nun auch bei "kleine Monster"; umgemünzt auf das Familienleben, das zwischenmenschliche Gefüge und Ver- bzw. Misstrauen zwischen Eltern und Kind. 

Pia und Jakob werden für ein Gespräch in die Schule ihres Kindes bestellt. Es gab ein Vorfall zwischen Luca und einem Mädchen. Sie können es zunächst nicht glauben, wollen es nicht glauben. Ihr guter, sensibler und vernünftiger Junge. Doch der Siebenjährige schweigt, möchte mit ihnen nicht darüber reden. Und gerade das macht Pia fertig. Während Jakob sich noch auf die Seite seines Sohnes stellt - "Wir wissen doch gar nicht, ob es wirklich so passiert ist. Ein Mädchen hat eine Geschichte erzählt und jetzt sind alle in heller Aufregung." - beginnt bei Pia bereits eine Wunde aufzureißen. "Jakob sieht nicht, was ich sehe. Weil er das Dunkle nicht kennt. Aber ich kenne es, und wenn Luca auch so ist, dann ist er es wegen mir. Wegen meiner Familie." Sie wird vorsichtiger, die Bindung zwischen ihr und ihrem Sohn bröckelt und Skepsis macht sich breit. Die Angst davor, dass er eben nicht so lieb und ruhig ist, wie gedacht, nimmt überhand, trübt ihren Blick und sie beginnt ihrem Sohn Dinge zu unterstellen. Bis es dann eines Tages nicht nur bei Unterstellungen und Gedanken bleibt... alles zu kippen droht. "...ich weiß, dass mein Gefühl stimmt, dass da noch mehr ist, dass Luca etwas verschweigt. Jakob liegt falsch, wenn er sagt, dass Schweigen nicht Lügen ist. Schweigen ist noch schlimmer. Ich weiß, wovon ich rede." 

"Der >Vorfall< schwebt über uns wie eine finstere Wolke, begleitet uns überallhin, wohin wir auch gehen. Ich suche nach einem Zauberspruch oder wie in einem Computerspiel nach der richtigen Abfolge von Handlungen, mit der man den Kampf gegen das Monster schließlich gewinnt."

Doch wer ist hier das Monster? Ihr Sohn? Der Vorfall? Sie selbst? 
Ich habe mich lange gefragt, woran es liegt, dass dieses Buch bei mir nicht so 'funktionierte'. Während viele von beklemmender Faszination berichten, hatte ich eher mit Verständnislosigkeit und Wut auf die Protagonistin zu kämpfen. Für mich eine irgendwie neue und krasse Erfahrung - was ein Text mit mir und in mir auslöst, wie ich mich gegen den erzählenden Charakter richte und wie wütend ich da werden kann. Und das war für mich dann auch das Faszinierendste an diesem Roman, denn umso weiter ich las, umso weniger begreifbar und logisch wurde es. Ich habe es nicht verstanden, wie sich das alles so aufbauschen kann, dass weder ihr Partner, noch das Umfeld eingriffen und Pia (ohne nun zu viel verraten zu wollen) ihr persönliches, allem zugrunde liegendes Trauma über das aller stellt, obwohl auch andere, und das noch viel näher, an den damaligen Ereignissen beteiligt waren, mehr gesehen und gelitten haben. Zwar zeigen sich Traumata bei jede*m anders und doch war mir das in diesem Fall einfach zu egozentrisch dargestellt. Vielleicht auch zu einfach. 
An anderen Stellen war mir der Text hingegen einfach nicht hart genug, die Aufteilung in drei Teile hat für mich keinen Sinn ergeben, außer dass es vielleicht die Steigerung der psychischen Gewalt und das Pias Misstrauen unterstreicht, allerdings hätte es dafür keine 'Szenensprünge' gebraucht, es hätte auch genauso gut als durchgehender Text funktioniert. Und irgendwie hatte ich beim Lesen ständig das Gefühl, dass dieser Roman sehr glatt gezogen wurde. Alle Ecken und Kanten, die ich an "Mama" so liebte und die dieses Schauergefühlartige hervorriefen waren verschwunden. Dieser Text ist nun so typisch 'publikumsverlagig' und eintönig. Leider ist das nicht das erste Mal, dass Lieblingsautor*innen zu Hanser wechseln und dann eben genau das passiert. Ich freue mich sehr für Lind und dass ihr zweiter Roman nun eine größere Aufmerksamkeit genießt, aber irgendwie hat's mich da auch so ein Stück weit verloren.