Rezension

Nicht schlecht, aber habe mir deutlich mehr erhofft!

Kleine Monster -

Kleine Monster
von Jessica Lind

~ „Kleine Monster“ ist sicher kein schlechtes Buch (versteht mich nicht falsch, es hat durchaus seine Stärken!), doch von Begeisterungsstürmen bin ich meilenweit entfernt. Ich bleibe nach der Lektüre ernüchtert und mit vielen Fragezeichen zurück – ich habe mir einfach deutlich mehr erhofft… Eine explizite Leseempfehlung gibt es deshalb von mir nicht. ~

* Achtung, die Rezension enthält Spoiler, vor denen aber im Text noch einmal gewarnt wird! *

Inhalt

Ihr siebenjähriger Sohn soll ein Mädchen belästigt haben, deshalb werden Pia und Jakob in die Schule zitiert. Für Pia ändert das alles. Sie beginnt, Luca zu misstrauen, meint etwas Dunkles in ihrem Sohn zu erkennen. Sie hat immer mehr das Gefühl, dass er intelligenter ist, als man es einem Kind zutrauen würde, dazu noch berechnend und manipulativ. Wenn Luca wirklich ihre schlechten, dunklen Seiten (die sie sogar vor ihrem Partner verbirgt) geerbt hat, muss sie die anderen und ihn selbst unbedingt davor schützen…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Ich-Erzählweise, Präsens
Perspektive: weibliche Perspektive
Kapitellänge: kurz

Inhaltswarnung: Tierquälerei, Tod, Gewalt gegen Kinder, Vernachlässigung von Kindern, männliche Gewalt, Mobbing, s+xualisierte Gewalt
Bechdel-Test (zwei Frauen mit Namen sprechen miteinander über etwas anderes als einen Mann): bestanden
Frauenfeindliche / gegenderte Beleidigungen: --- ♥

Diese Geschichte solltest du lesen, wenn dir folgende Themen/Dinge in Büchern gut gefallen:

- Rückblenden
- einfacher Schreibstil
- unheimliche Grundstimmung
- Themen: Kindheit, Schuld, Tod, Trauer, Elternschaft (besonders Mutterschaft) und Erziehung
- s+xualiserte Gewalt, Geschlechterrollen
- Gewalt gegen Kinder + Vernachlässigung
- Adoption, Geschwisterliebe
- Landleben

Lieblingszitate

„‘Wir wissen doch gar nicht, ob es wirklich so passiert ist. Ein Mädchen hat eine Geschichte erzählt und jetzt sind alle in heller Aufregung.‘
‚Glaubst du, sie hat es erfunden?‘“ Ebook, Position 64

„Wenn sich Luca erschreckt, wird er ganz still. Wenn wir schimpfen, zieht er die Schultern ein und senkt den Blick. Wie eine Schnecke, die sich in ihr Haus verkriecht.“ E-Book, Position 79

„Aber manchmal komt es mir doch so vor, als hätten zwei Bäume miteinander den Platz getauscht, oder es kommt eine Biege, die ich ganz woanders hingetan hätte.“ E-Book, Position 162

„Die Liebe ist keine Selbstverständlichkeit für mich. Die Mutterhaut, die ich trage, passt nicht wie angegossen. Ich bin nicht Aschenputtel, ich bin eine ihrer Schwestern, die sich erst die Ferse abschneiden muss oder den großen Zeh.“ E-Book, Position 519

Meine Rezension

Bei „Kleine Monster“ haben mich Klappentext und Leseprobe (s+xualisierte Gewalt im Kindesalter, Umgang der Eltern und Schule damit) vollkommen in ihren Bann gezogen! Deshalb war mir schnell klar: Dieses Buch muss ich unbedingt lesen! Die Nominierung für den Österreichischen Buchpreis (mit der ich fest gerechnet hatte) und die vielen positiven Rezensionen sowohl im Feuilleton als auch von anderen Blogger:innen haben mich nur noch neugieriger gemacht…

So, meine Lieben, ich mache es kurz und schmerzlos: Es ist wieder einmal Zeit für eine „unpopular Opinion“! Denn auch wenn sich Leser:innen und Literaturexpert:innen noch so vor Lob überschlagen – ich sehe es nicht, tut mir leid! Den großen Hype um „Kleine Monster“ kann ich leider nicht wirklich verstehen. Natürlich fragt man sich in so einem Fall schon: Nanu, stimmt etwas nicht mit mir? So viele Leute können doch nicht irren, oder? Fest steht, dass ich mir auch dieses Mal selbst treu bleiben und euch meine ungeschönte Meinung besonders gut erklären muss – und damit fangen wir sofort an!

Was mir an „Kleine Monster“ gefallen hat: Ich fand den Titel und den Einstieg in den Roman genial! Man ist sofort mitten in der Geschichte, hat gefühlt 1000 Fragen (was ist genau passiert? Warum hat Luca das getan? Wie geht man mit Vorfällen dieser Art und in diesem Alter richtig um? Wie werden sich die Eltern nun verhalten? Wieso ist Pia direkt so misstrauisch?) und möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht!

Pluspunkte hat das Werk bei mir auch mit seiner (zumindest stellenweise) unheimlichen Grundstimmung (was weiß nie, was als Nächstes passieren wird, hat Angst, dass die Lage eskalieren könnte!) und dem sehr flüssig lesbaren Schreibstil gesammelt, ebenso mit seiner ehrlichen und ungeschönten Auseinandersetzung mit Themen wie s+xualisierte Gewalt, Tod, Schuld, weiblicher Wut, Mutterschaft und Gewalt in der Kindererziehung. Pias fast schon paranoides Misstrauen ihrem Sohn gegenüber wird sehr greifbar und eindringlich geschildert – ihre Gewaltausbrüche ihrem Kind gegenüber sind hierbei nicht immer leicht zu verdauen (Achtung, Inhaltswarnung!). Bei einer Lesung, die ich besucht habe, hat die Autorin (die übrigens eine unglaublich schöne Stimme und angenehme Art hat, sie sollte wirklich Hörbücher sprechen!) erklärt, dass sie in ihren Romanen jene negativen Muttergefühle wieder hervorholt und von allen Seiten ins Licht hält, die eigentlich nicht sein dürfen und die sie im Alltag sofort beiseiteschiebt – und von dieser Authentizität profitiert die Geschichte extrem, man spürt sie in jeder Zeile.

Positiv aufgefallen sind mir auch die vielen starken weiblichen Figuren, die gleichberechtigte Elternschaft zwischen Jakob und Pia und die Art, wie Rollenstereotype (besonders die der „aufopferungsvollen Mutter“ und des „natürlichen Mutterinstinkts“) immer wieder bewusst hinterfragt und gebrochen werden. Besonders Letzteres fand ich sehr erfrischend!

Was mir an „Kleine Monster“ nicht gefallen hat: Vielleicht bin ich durch die vielen positiven Bewertungen mit zu hohen Erwartungen an diese Geschichte, die viele Rückblenden enthält, herangegangen, jedenfalls ließ sie mich sehr unbefriedigt zurück und ich fragte mich am Ende ernüchtert: „Was? Das war’s schon?“ Wo andere die vielschichtige, tiefgründige Geschichte loben, sehe ich einen Schreibstil, der durch seine einfachen, kurzen Sätze und den Mangel an Details oberflächlich bleibt. Wo andere ein grandioses Buch sehen, nehme ich eine gute Idee wahr, aus der man aber so viel mehr hätte machen können.

Irgendwie hat mich das Buch auch nie richtig gefesselt (abgesehen von den ersten Seiten), zog sich und fühlte sich viel länger an, als es ist (es hat ja nur knapp 250 Seiten). Hier fehlte mir ein durchgehender Spannungsbogen. Außerdem bleiben für meinen Geschmack viel zu viele GRUNDLEGENDE Fragen offen! ACHTUNG, SPOILER ab hier: Warum quält Luca nun Tiere (Inhaltswarnung!)? Was steckt dahinter? Wie werden Pia und Jakob damit und mit dem Vorfall in der Schule umgehen? Dass das Kind große Probleme mit Empathie hat, war doch keine Einbildung? Hat es wirklich mehrmals bewusst seine Eltern angelogen (Wasserglas)? Was ist am Todestag der Schwester wirklich passiert? Hat Romy wirklich alles getan, um Linda zu retten? Wird Romy wieder ein Teil von Pias Leben werden? Fragen über Fragen – und eine Geschichte, die sich nur auf den ersten Seiten um s+xualisierte Gewalt dreht, danach aber eine vollkommen andere Richtung einschlägt und das Thema zur Nebensächlichkeit verkommen lässt. An meiner Enttäuschung ist deshalb sicher auch der (bewusst?) irreführende Klappentext schuld…

Mein Fazit

„Kleine Monster“ ist sicher kein schlechtes Buch (versteht mich nicht falsch, es hat durchaus seine Stärken!), doch von Begeisterungsstürmen bin ich meilenweit entfernt. Ich bleibe nach der Lektüre ernüchtert und mit vielen Fragezeichen zurück – ich habe mir einfach deutlich mehr erhofft… Eine explizite Leseempfehlung gibt es deshalb von mir nicht.

Bewertung (in Schulnoten)

Cover / Aufmachung (altes Cover): 3
Idee: 2
Inhalt, Themen, Botschaft: 3
Tiefe: 3
Umsetzung: 3
Worldbuilding: 2
Einstieg: 1+ ♥
Ende: 2
Schreibstil: 3
Figuren: 3
Spannung: 3-4
Pacing/Tempo: 3-4
Wendungen: 3
Atmosphäre: 2
Emotionale Involviertheit: 3
Feministischer Blickwinkel: 1-2
Einzigartigkeit: 2

Insgesamt:

Note 3