Rezension

Palästinensische Familiengeschichte.

Häuser aus Sand - Hala Alyan

Häuser aus Sand
von Hala Alyan

Bewertet mit 4 Sternen

Obwohl ich ziemlich viel zu kritisieren hatte an diesem Roman, hat er mir nicht grundsätzlich missfallen. Ich war mit dem Herzen dabei, beim Lesen. Deshalb bekommt er eine ausreichend gute Note. Dennoch, die Kritik muss ausgesprochen werden, denn das Buch ist parteiisch. Parteiisch durch Weglassen. Sehr raffiniert.

Alia, die Tochter von aus Tel Aviv vertriebenen Palästinensern, ist die Hauptfigur in Hala Alyans Roman. Dieser führt dem Leser vor Augen, wie Menschen den Verlust ihrer Heimat selbst dann nicht verwinden, wenn sie eine neue Heimat gewinnen können. Und sie zeigt uns, wie weit zurück die Wurzeln der Vergangenheit reichen. (Nun, wenn man so will, sehnen wir uns alle zurück nach dem Paradies, dem Land zwischen Euphrat und Tigris, wo die Menschheit herkommt.)

Über vier Generationen hinweg führt uns die Autorin, im Zeitraum von 1948  bis 2015 in die nahe Gegenwart. Erzählt wird gleichbleibend und ausschließlich aus palästinensischer Sicht, was dem Roman ziemlich Schlagseite gibt. Auf den ersten Blick gibt sich das Buch betont unpolitisch. Schöne blumige Sätze. Schöne Schilderungen innerer Bewegung. Wunderschöne Sprache. Es ist eben einfach die Geschichte einer Familie im Krisenherd Nahost. Oder doch nicht? Nein. Doch nicht. Denn die Geschichte einer Familie auf dem Pulverfass Nah-Ost kann nicht unpolitisch sein, so harmlos der Roman auch sonst daherkommen mag und sich Hasstiraden kneift.

Die Figurenführung ist ein wenig sprunghaft, dennoch werden die geschilderten Frauen und Männer lebendig vor dem Auge des Lesers.

Was auch die junge in Frankreich oder den Staaten lebende und aufgewachsene Generation an ihre palästinensische Herkunft fesselt und niemals ganz in anderen Ländern ankommen lässt, kann der Leser nicht unbedingt nachvollziehen, es mag so sein wie Manar es im Stillen zu ihrem amerikanischen Ehemann Gabe sagt: „Du kannst nicht mitkommen, weil du nicht weißt, wie es ist.“  Weiß es denn Manar?  Zum ersten Mal ist Manar selbst in ihrem Leben nach Beirut geflogen, um dem Anfang ganz nahe zu sein. Oder ihn zu suchen. Dabei helfen ihr ein Bündel Briefe, die ihr Großvater, der Ehemann Alias, sozusagen als Gratis-Therapie für sich selbst geschrieben hat, nachdem er zusammen mit seinem Freund Abdullah von den Israelis gefangen genommen und gefoltert worden ist. Nachdem sie sich einer radikalen Gruppe angeschlossen hatten. Gewissermassen also zu Recht. Obwohl Folter niemals Recht ist!

Wie in vielen leidgeprüften Familien, das kennen auch die Deutschen, werden die verschwundenen Familienmitglieder kaum jemals erwähnt. Es ist zu schmerzhaft für diejenigen, die sich erinnern. Aber dennoch bricht sich diese Erinnerung Bahn. Und so landet Manar schließlich wieder im Schoß der restlichen Familie in Nah-Ost. Für immer. Vorübergehend? No idea.

Glücklicherweise ganz vorne im Buch befindet sich der Stammbaum der Familie Yacoub. Den braucht der Leser zwingend, weil es munter durch verschiedene Erdteile geht und diverse Zeitsprünge den Leser  überraschen.

Die Psychologie der geschilderten Personen scheint nicht unbedingt überzeugend. So erleidet Souad, eine sehr taffe junge Frau, unerklärlicherweise eine tiefe Depression, während der sie ihre Kinder vernachlässigt. Schon vorher wirkt sie als Figur gebrochen. Sie lebt in Frankreich, studierte, könnte sich verwirklichen. Und verliert sich. Aus keinem ersichtlichen Grund. Da sie als starke Figur eingeführt wurde und nichts weiter erklärt wird, ist die Verblüffung des Lesers groß.

Auch Alias Charakter, kapriziös, Mutter von drei erwachsenen Kindern, erscheint fragwürdig. Nie zufrieden. Eine leidenschaftslose Mutter. Unausgesprochene Konflikte mit sich herumtragend. Immer schlecht gelaunt, eifersüchtig. Neidisch. Auch sie wird als starke Jugendliche vorgestellt, dann gebrochen, warum? Das kann sich der Leser aus den Fingern saugen.

Überraschenderweise sind die männlichen Figuren geradliniger und viel besser getroffen, obwohl sie weniger Raum einnehmen.
„Häuser aus Sand“ soll sicherlich die Geschichte und die Folgen psychischer Entwurzelung bis in die vierte Generation hinein aufzeigen. Das glückt auch zum Teil, doch gibt es erhebliche Einschränkungen: niemals ist die Familie von Armut betroffen, niemals fehlen ihr die finanziellen Mittel zu einem privilegierten Leben. Sie leiden auf hohem Niveau. Scheinbar unberührt vom wirklichen Leid ihrer Nachbarn. Sie leben ein egozentrisches Leben.

Fazit: Lieblich zu lesender Familienroman mit der Thematik Entwurzelungsdepression am Beispiel einer palästinensischen Großfamilie. Nicht durchgehend gelungen, zudem politisch unkorrekt. Vieles wird nur skizziert, dennoch: ein guter Ansatz.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: Dumont, 2018

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 26. Juni 2018 um 11:15

Na ja, parteiisch - wenn es die Geschichte der Palästinenser ist, erleben sie es so. Das machen israelische Autoren vermutlich genauso. Die unlogischen Brüche in den Personen scheinen mir als Problem schwerer zu wiegen.