Rezension

Wir fangen am Ende an

Von hier bis zum Anfang
von Chris Whitaker

Bewertet mit 5 Sternen

Nach dreißig Jahren kommt Vincent King aus dem Gefängnis frei. Er saß wegen Mordes und zieht in seinen Heimatort zurück. Einzig, sein Freund und jetziger Sheriff Walk hält zu ihm, während sich die Schwester der Ermordeten gegen ihn stellt.

„Von hier bis zum Anfang“ ist ein gesellschaftskritisches Drama. Es ist ein düsterer, dunkler und ergreifender Roman, der mit bewegenden Lichtsprenkeln die Seele streicht. 

Obwohl Vincent eine zentrale Figur in dieser Erzählung ist, bleibt der Leser bei dem Mädchen Duchess haften. Auf den ersten Blick ist sie ein trotziges Kind, das dreckverschmiert durch die Gegend streift. Erst beim zweiten Hinsehen merkt man, dass hinter der Fassade eine auf’s Ärgste vernachlässigte Seele lebt. Ihre Mum kümmert sich nicht um sie. Der kleine Bruder ist vom Bemühen der Schwester abhängig und Familienglück ist, bis auf wenige armselige Momente der gegenseitigen Verbundenheit, nicht existent.

Die Ursache für das Desaster soll Vincent King sein. Er hat als Teenager Duchess’ Tante Sissi ermordet und damit die Familie zerstört.

Nun ist Vincent King wieder da und man ahnt, dass es keine gemütliche Geschichte werden wird. 

Whitaker erzählt ruhig und unaufgeregt. Er zieht mehrere Figuren in die Handlung rein, stellt sie dem Leser vor und lässt die Vergangenheit auferstehen, indem er ihre Verstrickungen Stück für Stück zum Vorschein bringt. Für Duchess und den Leser sind viele Verbindungen neu, und so gerät man in einen Strudel aus Schuld, Sühne und Müdigkeit, die vom Anfang bis zum Ende um sich greift. 

Duchess ist verschlagen, bockig und misstrauisch. Sie stößt alles und jeden von sich weg und nimmt den Leser in ihr trauriges Leben mit. Erwachsene stehen hilflos daneben und schauen in ein junges Gesicht, das schon viel zu viel ertragen hat. 

Dabei stellt Whitaker Themen wie Freundschaft, Geschwisterliebe, Vergeben und Verzeihen in den Mittelpunkt. Er zeigt, dass das Schicksal unbarmherzig und eine Abwärtsspirale kaum aufzuhalten ist.

Die Figuren sind exzellent gezeichnet. Sie wirken realistisch, authentisch und greifbar. Der Autor hat ihnen Wesen verliehen. Er hat den Beteiligten eine Vergangenheit, die Gegenwart und einen Blick auf die Zukunft gegeben. Besonders gut gefallen hat mir, dass sie differenziert dargestellt sind.

Vom Stil her ist es typisch amerikanisch. Es geht um White Trash, eine hinterhältige Kleinstadtidylle, grenzenlose Freiheit und uneingeschränkten Waffenbesitz. Whitaker stellt gutmütige Gesetzeshüter, welche die Regeln biegen, genauso wie rachsüchtige Verbrecher, die wohlwollend auf ihre Mitmenschen schauen, vor und treibt mit ihrer Hilfe die Storyline an.

Mir hat „Von hier bis zum Anfang“ ausgezeichnet gefallen. Ich mochte die melancholische Grundstimmung, das Bedauern der Vergangenheit und die Verzweiflung in der Gegenwart, und spreche eine Empfehlung aus.