Rezension

Fortsetzung einer schwierigen Freundschaft

Die Geschichte eines neuen Namens - Elena Ferrante

Die Geschichte eines neuen Namens
von Elena Ferrante

Bewertet mit 5 Sternen

Hart und schmerzvoll wird mein Wissen wieder auf den Stand gebracht, den es gegen Ende des ersten Bandes hatte - dies ist jetzt leider ein Jahr her, so dass ich mich zur Sicherheit mal durch den Prolog der Personenbeschreibungen quäle. Diesmal ist es aber, im Gegensatz zu dem im ersten Band, durchaus hilfreich, dieses Verzeichnis. Ich gebe zu, dass ich im Folgenden hin und wieder spicken musste, um nicht den Überblick zu verlieren.

Lilas Ehe beginnt mit einem katastrophalen Fehlstart. Noch in der Hochzeitsnacht zieht sie, die allzeit Kompromisslose, die sich verraten und verkauft fühlt, den Schlussstrich der inneren Emigration. Stefano reagiert in seiner Hilflosigkeit mit der einzigen Verhaltensregel, die man im Rione lernt: Prügel und Vergewaltigung. Als Leser hat man in diesem Band eine Menge zu schlucken. Auch Lenú beschreibt als Ich-Erzählerin wieder ihre eigenen egoistischen Gemütszustände, die jeder andere normalerweise halb unwissend ganz tief in sich verbergen würde. Dabei ist sie dermaßen direkt, dass einem vor Ekel schon mal die Luft wegbleibt, besonders, wenn Lenú mitten im derbsten Sex mit Antonio daran denkt, dass sie dies eigentlich nur tut, um Lila eifersüchtig zu machen.

Aus der unheilvollen Abhängigkeit wird eine missbräuchliche Freundschaft. Lila benutzt Lenú und ihre Bedürfnisse, um diese noch dümmer und hässlicher dastehen zu lassen. Und ausgerechnet in dem Augenblick, in dem Elena (Lenú) sich ihrer eigenen missgünstigen Gedanken gegenüber ihrer Freundin bewusst wird und sich dafür schämt, hat Lila so übertrieben mit dem Ausspielen ihrer Hochbegabtenkarte, dass Elena dringend eine Lila-Pause einlegen sollte. Dies wird aber ihr schlechtes Gewissen verhindern. Stattdessen beginnt sie, ihre Freundin besser zu verstehen, analysiert mit scharfem Blick deren Furcht davor, so zu werden wie die älteren Frauen des Rione, und sieht auf einmal selber alle Frauen mit völlig neuen Augen. Das alles ist so genial erzählt (und übrigens auch übersetzt), dass es, wie ich finde, die gewöhnliche Sterne-Bewertung sprengt.

Wenn man diesen zweiten Band liest, ahnt man, warum die Autorin unter Pseudomym schrieb (das leider von einem trotteligen, sensationsgeilen Journalisten aufgedeckt wurde). Mafiöse Strukturen der Heimatgosse, genannt Rione, treten nun klarer hervor. Es wird sehr spannend.

Mir gefällt es, dass Personen nie einseitig charakterisiert werden. Wenn man gerade angefangen hat, sie zu verabscheuen, zeigen sie plötzlich andere Seiten ihres Charakters, die einen versöhnlich stimmen. Nur mit Lila wird es von Kapitel zu Kapitel schwerer. Aber gerade für sie hat die Autorin ein schier unendliches Verständnis. Der Leser wird schon manchmal wütend auf die Handelnden, die Autorin nie.

Lila, der eine bessere Bildung verwehrt blieb, tritt nun, als wohlhabende Ehefrau, als Lenús Förderin auf. Diese Lila-Lenú-Lerngemeinschaft hat durchaus etwas Guerillamäßiges. Wenn sie Lenú nicht schon wieder in diese ungesunde Abhängigkeit treiben würde. Ein erster Wendepunkt kommt mit der Party bei Prof. Galiani. Auf einmal wird Elena wertgeschätzt. Sie blüht geradezu auf. Sogar Nino, ihr heimlicher Schwarm, wird auf sie aufmerksam. Und, wie könnte es anders sein, Lila kann ihr diese Freude nicht gönnen. So traurig. Und um Elena macht man sich als mitfühlender Leser allmählich Sorgen. Anstatt ständig für Lila den Fußabtreter zu geben, sollte sie endlich anfangen, ihr eigenes Leben zu leben. Argumentationsketten junger Menschen sind nicht immer logisch. Oft möchte man Elena an den Schultern packen und fest rütteln. Es wird immer mehr die Geschichte eine Missbrauchs. Und gleichzeitig eines unerträglichen Mitläufertums.

Lila ist schwer einzuordnen. Sie entzieht sich jeder Schublade. Die Verwandten rätseln vergeblich, ob sie auf der Seite ihrer Familie oder auf der Seite der Solaras steht. Ist alles, was Lila tut, nur eine billige Vergeltungsmaßnahme? Um sich dafür zu rächen, dass sie es nie aus dem Rione herausschaffen wird? Lenú aber schon? Aber mit dieser Konsequenz hat sich Lila ihr eigenes unerbittliches Urteil gesprochen.

Warum es am Ende trotzdem ein wunderbares Buch ist? Am Ende haben beide Freundinnen endlich etwas kapiert. Mehr muss ich hier wohl nicht verraten.