Rezension

Genial mit einer entscheidenden Schwäche

Zerrissen - Juan Gómez-Jurado

Zerrissen
von Juan Gómez-Jurado

Bewertet mit 4 Sternen

"Zerrissen" handelt von dem erfolgreichen Neurochirurgen Dave Evans, der kurz vor Ende seiner Schicht einen Notfallpatienten zugeteilt bekommt. Als er schließlich nach Hause kommt, findet er seine Haushälterin tot auf und seine 7-jährige Tochter Julia wurde entführt. Dave merkt schnell, dass er nicht mit einer Lösegeldforderung zu rechnen hat, denn sein Gegner ist ein Psychopath, der eine ganz besondere Herausforderung für ihn bereit hat. Dave Evans soll den mächtigsten Mann der Welt sterben lassen, wenn er diesem einen Gehirntumor entfernt. Für den Neurochirurgen beginnen die schlimmsten Tage seines Lebens, denn wie entscheidet man sich zwischen dem Präsidenten und seiner Tochter, wenn der Entführer permanent pyschologische Tricks auspackt?

"Zerrissen" hatte mich mit dem genialen Klappentext und dem schlichten und doch so aussagekräftigen Cover sofort. Nun musste mich nur noch der Inhalt überzeugen. Und das ist durchaus gelungen, umso mehr blutet mir nun das Herz, dass ich nur vier Sterne vergeben werde. Betrachte ich mein Leseerlebnis im Rückblick muss ich feststellen, dass mich ein entscheidendes Erzählelement doch gestört hat und im Vergleich zu früher gelesenen Thriller muss ich einfach die Konsequenzen ziehen. Dennoch erhält "Zerrissen" von mir eine absolute Leseempfehlung und hier kommen die Gründe:

Die Figuren sind allesamt psychologisch hervorragend ausgearbeitet. Man hat Dave, den Waisen, der sein Leben lang nach Anerkennung strebt und auf Grund seiner Kindheit ohne Elten seinem eigenen Kind der liebevollste Vater ist. Man hat Kate, die für ihren Vater ein Junge hätte werden sollen und deswegen zeitlebens versucht diesem männlichen, mutigen Ideal gerecht zu werden. Und natürlich White, der geniale Psychopath. Die Kapitel, die aus seiner Sicht erzählt werden, sind zwar nur wenige, dafür umso faszinierender, denn wer so bewandert ist auf dem Gebiet der Psychologie, bei dem ist es umso interessanter in die eigene Psyche einzusteigen. Mir gefällt auch, wie nach und nach kleinere Geheimnisse aufgedeckt werden. "Zerrissen" ist kein Krimi und dennoch gibt es Kleinigkeiten, die der Erzähler nach und nach preisgibt und damit hat man gelegentliche Twists. Das Highlight ist aber defiinitiv, wie der Plot verläuft und wie dieser ganze Psychokrieg durch eine unheimliche Spannung auf die Spitze getrieben wird. Auch wenn sich am Ende die Ereignisse überschlagen, zu keinem Zeitpunkt wird die Geschichte unglaubwürdig. Stattdessen ist alles bis in die letzte Seite durchdacht und dieses meisterhafte Erzählen muss man einfach würdigen.

Mein kleines (vielleicht doch großes) Problem ist aber, dass diese unerträgliche Spannung immer wieder durch kleinere Abschnitte durchbrochen wird, die in die Vergangenheit von Kate und Dave blicken. In der Regel erinnern sie sich an Erlebnisse mit Julia, die sie nur erneut noch mal bestärken, dass sie alles darauf anlegen müssen, Julia zu retten. Natürlich hilft das auch nochmal beide Figuren näher kennen zu lernen, aber da man als Leser nur wissen will, wie die ganze Sache nun endet, halten diese Abschnitte auf. Die Spannung wird nicht zerstört und dennoch merkt man, dass man anfängt über diese Zeilen hinwegzulesen, um zu der eigentlichen Action zu kommen. Dieser Aspekt ist wirklich schade, das hätte man vermutlich anders lösen müssen.

Mein Fazit ist abgesehen von diesem Aspekt klar Daumen hoch. Es ist eine kleinere erzählerische Schwäche, die aber vielleicht nicht jeden stört. Und der rest ist wie gesagt teil eines genialen Thrillers, von denen es mehr auf dem Buchmarkt geben sollte.