Rezension

Kein Thriller für 'Zwischendurch'...

Extinction - Kazuaki Takano

Extinction
von Kazuaki Takano

Bewertet mit 4 Sternen

Das 'Wesen Mensch', davon handelt dieser Thriller, wenn man es auf den Punkt bringen will. Natürlich kann man sich darunter nichts vorstellen, aber wenn man den Thriller kennt, weiß man, dass sich letztlich alles um diesen  Punkt dreht.

"Wenn Sie in der Region angekommen sind, halten Sie sich von den Menschen fern - außer Sie wollen unbedingt einen Blick in die Hölle werfen."

Ansonsten fällt es mir tatsächlich schwer, in Kürze zu umreißen, worum es hier tatsächlich geht. Kazuaki Takano hat seinen Thriller im Wesentlichen auf drei Säulen errichtet, die in vollkommen verschiedenen Teilen der Welt spielen und bei denen lange nicht deutlich ist, wie sie überhaupt miteinander zusammenhängen könnten.

Zum einen erfährt man von Jonathan Yeager, einem Ex-Special Forces Soldaten, der mittlerweile für eine private Sicherheitsfirma arbeitet, die eng mit dem US Militär verbunden ist. Jonathan plante eigentlich, nach seinem gerade beendeten Einsatz nach Lissabon zu fliegen, wo sein Sohn Justin in einem Krankenhaus um sein Leben kämpft - aussichtslos, denn für seine unheilbare Lungenerkrankung gibt es keine wirksamen Medikamente. Doch die Behandlung Justins ist auch so äußerst kostspielig, und so nimmt Jonathan kurzentschlossen einen streng geheimen Regierungsauftrag an, der ihm viel Geld einbringen wird - sofern er ihn überlebt. Der amerikanische Präsident selbst hat diesen Auftrag erteilt: bei einem im Dschungel lebenden Pygmäenstamm im Kongo ist ein tödliches Virus ausgebrochen, dessen Verbreitung mit allen Mitteln verhindert werden soll. Doch als Jonathan mit einigen Mitstreitern dort anlangt, erwartet ihn eine ungeheure Überraschung, die alles infrage stellt.

Zum anderen begleitet man in Tokio den jungen Chemiestudenten Kento Koga. Als sein Vater Seiji unerwartet verstirbt, erhält Kento einige Tage darauf eine mysteriöse E-Mail von dem Verstorbenen, in der er ihn bittet, seine geheime Forschungsarbeit fortzusetzen. Mehr als skeptisch macht sich Kento auf die Spurensuche und erkennt, dass sein Vater mehr Geheimnisse hatte als er dachte. Innerhalb eines einzigen Monats soll Kento in aller Heimlichkeit ein Medikament entwickeln, das hunderttausenden Kindern das Leben retten kann. Als er bei seinen Nachforschungen auch auf den 'Heisman-Report' stößt, beginnt für ihn unerwartet ein Wettlauf nicht nur gegen die Zeit, sondern auch gegen die Polizei. Kento weiß nicht mehr, wem er eigentlich noch vertrauen kann. Wer steckt hinter der mysteriösen Angelegenheit?

Der dritte Handlungsstrang schließlich ist in den USA angesiedelt, betrachtet einmal die Situation in der Regierung rund um den amerikanischen Präsidenten, wechselt aber auch immer wieder zu dem hochintelligenten Arthur Rubens, der in einer 'ThinkTank' Firma arbeitet, die der amerikanischen Regierung undercover zuarbeitet. Zur Zeit ist er mit der Leitung des streng geheimen militärischen Spezialauftrags im Kongo betraut - und gerät zunehmend in einen Zwiespalt. Auftrag gegen Gewissen, Befehlsausführung gegen Menschlichkeit, Macht gegen Vernunft. Ein spannender Balanceakt, bei dem lange nicht klar ist, was davon die Oberhand gewinnen wird.

"Die Welt ist schön, dachte Yeager. Aber auf derselben Welt lebt auch das Monster namens Mensch."

Die Idee hinter dem Thriller ist spannend und nahezu philosophisch. Dabei geht Kazuaki Takano auf so viele Themen ein, dass einem davon manchmal ganz schwindelig wird und man den Überblick zu verlieren droht. Doch angesichts der unaufhaltsamen Globalisierung, wo sich zwangsläufig alles vermengt und miteinander zusammenhängt, scheint das andererseits auch gerechtfertigt zu sein.
In diesem Hybrid aus Actionfilm und Wissenschaftsthriller wirkt der Plot teilweise überkonstruiert, doch wenn man sich vor Augen hält, dass das japanische Original bereits 2011 erschien, muss man dem Autor fast prophetische Fähigkeiten unterstellen. Neben Themen wie Genozid, Folter, Drohnenkrieg, Manipulation der öffentlichen Meinung, Wissenschaftsallmacht oder Bedrohung der Menschheit schildert Takano auch die umfassenden Überwachungsmaßnahmen der US-Geheimdienste. (Die Enthüllungen um die Machenschaften der NSA mit ihrer Datensammelwut durch Edward Snowden datiert aus dem Jahr 2013.) Takano operiert hier - intuitiv oder bewusst - in jedem Fall sehr nah am aktuellen Weltgeschehen.

Der Einstieg in den Thriller fiel mir wirklich schwer. Gerade im ersten Drittel sind die wissenschaftlichen Details derart diferenziert dargelegt, dass ich meinen eigentlichen Anspruch, nach Möglichkeit alles nachvollziehen zu können, irgendwann aufgab. Zudem empfand ich die Charaktere oft als oberflächlich und und die Dialoge eher als hölzern, was aber u.U. auch der Übersetzung geschuldet sein kann - der Roman wurde wohl aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, nicht aus dem Japanischen.

Das Verweben der Handlungsstränge jedoch und das Springen zwischen den Schauplätzen im Kongo, in Japan und den USA empfand ich als gelungen. Als ich las, dass Kazuaki Takano u.a. in Hollywood als Drehbuchautor arbeitet, hat mich das schon fast erstaunt. Nicht, weil ich ihm die Fähigkeit dafür absprechen möchte, aber auch Hollywood liegt in den USA. Und die amerikanische Regierung samt ihres Präsidenten steht dermaßen negativ im Fokus dieses Thrillers, dass ich mir vorstellen könnte, dass der Autor inzwischen auf einem (geheimen) Index der US-Regierung und ihrer Geheimdienste steht.

Insgesamt ein hochkomplexer, spannender und anspruchsvoller Thriller, der nicht mal eben zwischendurch gelesen werden kann, sondern seine Zeit beansprucht. Dafür liefert er zahlreiche Denkanstöße und beschäftigt mit seiner Themenvielfalt auch über das Lesen hinaus.

In meinen Augen in jedem Fall empfehlenswert!

© Parden