Rezension

Ruhige, melancholische Geschichte über das Glück, wie man es nie erlebt

Das Glück, wie es hätte sein können - Véronique Olmi

Das Glück, wie es hätte sein können
von Véronique Olmi

Eine Stadt: Paris. Zwei Menschen: Suzanne und Serge. Erstere arbeitet als Klavierstimmerin, ohne das Instrument selbst zu spielen, und ist mit einem Automechaniker verheiratet. Sie ist über vierzig, nicht gerade die Schönste und eher gewöhnlich, aber frei und lebendig. Letzterer besitzt eine erfolgreiche Makleragentur für Luxusimmobilien, ein schönes Haus, eine deutlich jüngere, wunderschöne Frau, zwei perfekte Kinder und dazu eine Vergangenheit, mit der er sich nicht auseinandersetzen will. Bis er auf Suzanne trifft.

Ja. Das ist es, was Serge packt und schockiert, als er Suzanne zum ersten Mal sieht: wie sehr sie lebt, ohne Angst zu haben. (S. 64)

Ihre Affäre beginnt aus dem Nichts, die Anziehung bleibt unerklärlich, vor allem für die beiden Hauptfiguren, ein wenig auch für den Leser, aber sie ist unabwendbar, irgendwie auch zerstörerisch, sie muss gelebt werden. Irgendetwas lösen sie ineinander aus, etwas, das schwer greifbar ist, sie errichten sich eine Blase jenseits der Gegenwart, in die sie sich zurückziehen, bis etwas sie zu durchbrechen beginnt.

Schon seltsam, wie ein Nichts ausreicht, damit ein Leben verstimmt wird, damit unser so einzigartiges, so kostbares Dasein seine Harmonie und seinen Wert einbüßt. […] In diesem Haus lebte ein Mann, von dem ich nichts wusste, nichts kannte, außer der Frau und dem Klavier, ein Mann, dessen Rasierwasser zu süß, dessen Anzug zu dunkel war, und bevor wir uns begegneten, wussten wir es nicht, aber wir hatten beide nichts anderes getan, als auf schmalen Holzbrettern über den Sumpf zu laufen. (S. 16)

Eigentlich ist das auch schon alles, was in diesem Büchlein geschieht. Abwechselnd wird das Geschehen aus Suzannes Ich-Perspektive und aus der Sicht eines auktorialen Erzählers beschrieben, beginnend im Oktober 2012, als die Affäre bereits beendet ist, und dann aus der Zeit, in der sie sich das erste Mal begegnen. Dabei bleibt die Sprache immer sanft und poetisch, ganz leise und unaufgeregt wird die Geschichte in Fragmenten geschildert, wie Bilder sind sie, wie eine Gemäldesammlung, die Einblicke in Suzannes Leben und in Serges offenbart, in ihren Alltag, ihre Begegnungen, schließlich auch in Serges Vergangenheit, als er diese mit Suzanne zu teilen beginnt. Ein bisschen wird der Leser dadurch außen vor gelassen. Man betrachtet diese irgendwie schwierige Anziehung zwischen den beiden, ihre sehr unterschiedliche Einsamkeit, die sie zu einem kleinen Teil stets für sich behalten, einen nicht hundertprozentig hineinlassen. Serges Lebensgeschichte wirkt mitunter ein bisschen aufgesetzt, ein bisschen zu sehr dramatisiert. Manchmal plätschert die eigentlich Geschichte auch etwas zu unaufgeregt daher, vor allem am Anfang, wirkt irgendwie ziellos. Doch das sind nur kleine Schwachstellen, die zwar störend wirken können, aber zu der ruhigen, melancholischen Erzählweise gehören. Denn zwischen all dem steckt man auch irgendwie selbst, mit immer denselben Fragen nach dem, was einen Menschen wirklich ausmacht, nach den verlorenen Träumen, danach, ob Liebe und Glück überhaupt möglich sind, heute, gestern, irgendwann später.

Man hat oft dieses Gefühl, dass die Orte sterben, wenn man sie verlässt, aber ich wusste, dass nicht die große Wohnung verschwunden war, sondern der kleine Junge darin. (S. 143)

Das Glück, wie es hätte sein können ist keine schmachtende Liebesgeschichte, sondern zeigt auch die hässliche Seite der unverhofften Anziehung zwischen zwei Menschen, ihren Egoismus, all die Alltäglichkeit des Lebens und wie andere immer wieder verletzt werden, auch wenn man das selbst gar nicht will. In diesem Buch geht es um die kleinen Dinge dazwischen, um Vertrauen, um Sehnsucht, um Glück, mögliches und unmögliches, und all das ist so wunderbar leise und zärtlich erzählt, dass die kleineren Schönheitsfehler nicht weiter stören. Denn perfekt ist schließlich nie etwas. Am wenigsten die Menschen und der stets hoffnungslose Versuch, das Glück in einem anderen zu suchen.