Rezension

Sehr gelungener Gesellschaftsroman über Eigeninteresse und moralischen Verfall

Unterleuten
von Juli Zeh

Bewertet mit 5 Sternen

Unterleuten ist ein kleines Dorf in Brandenburg, etwa eine Stunde von Berlin entfernt. In dem Dorf wohnen Leute, die bereits dort vor vielen Jahren geboren wurden und schon den Beginn und das Ende der DDR mitbekommen haben, und Leute, die erst seit kurzer Zeit dort wohnen, der Großstadthektik entkommen wollen und die ländliche Idylle suchen. Doch eigentlich verfolgt jeder Einwohner seine eigenen Interessen. Dies kommt ganz besonders zum Tragen als dort ein Windpark errichtet werden soll und jeder nur seinen eigenen Vorteil sieht. Der einzige, der tatsächlich für das Dorf denkt, ist die eigentlich tragische Figur in diesem Buch, weil keinem sein wirkliches Anliegen klar wird. Und keiner das Ganze denken kann. Dafür gibt es lange schwehlende Fehden und Konflikte in dem Dorf, die immer wieder zu Missverständnissen führen. Dann die Interessen der Neuen, die diese immer wieder, ohne an die Ureinwohner zu denken, durchsetzen wollen.

Besonders gelungen finde ich die eigentliche Besonderheit des Buches: den mit jedem Kapitel verbunden Perspaktivwechsel. Juli Zeh bedient sich hier eines tollen Stilmittels. Die Handlungen und die damit verbundenen Interessen werden immer wieder sehr gut verdeutlicht. Man geht dadurch immer auch mal wieder in der zeitlichen Abfolge einen Schritt zurück, weil dann beschrieben wird wie sich eine Reaktion auf bestimmte Personen auswirkt bzw. wie diese sie erlebt und empfindet. Aber man gewöhnt sich schnell an diesen Perspektivwechel und diesen Stil.

Mit "Unterleuten" ist Juli Zeh ein ganz großer Wurf gelungen. Ihr gelingt es hervorragend die Verstrickungen und Verwicklungen der Dorfbewohner darzustellen. Die Eigeninteressen jedes einzelnen Bewohners von Unterleuten sind sehr gut herausgearbeitet worden. 

Allerdings möchte ich auch dazuschreiben, dass man dieses Buch in seiner Komplexität nur versteht und alle Handlungsstränge nachvollziehen kann, wenn man ihm die nötige Zeit widmet. Es ist kein Buch zum "nebenbei" Lesen! Aber wer sich dem bewusst ist, wird mit "Unterleuten" in den Hochgenuss eines literarischen Meisterwerkes kommen.

Ich finde es beeindruckend, wie viel Arbeit sich Juli Zeh mit diesem Werk gemacht hat. Auf der Seite www.unterleuten.de gibt es Informationen u. a. zum Dorf und zu den Bewohnern. Z. B. hat der Märkische Landmann (die Dorfkneipe) sogar eine eigene Homepage mit einer Speisekarte und Jule Fließ-Weiland hat einen eigenen Facebook-Accout etc. Es lohnt sich dort mal reinzuschauen.