Rezension

Unter durchtriebenen Leuten in Unterleuten!

Unterleuten
von Juli Zeh

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Die Wahrheit war nicht, was sich wirklich ereignete, sondern was die Leute erzählten.“ (S. 408)

„Unterleuten“ ist der aktuelle Gesellschaftsroman der renommierten deutschen Autorin Juli Zeh (Stand 06/2106).

Für mich war dieses das erste Werk der Autorin und nachdem sie mich in diesen ganz eigenen Dorfkosmos entführt hat, kann ich definitiv sagen, dass es nicht mein letztes bleiben wird!

Worum geht es?

Ein Dörfchen in Brandenburg, das (bis auf einige DDR-spezifische Mentalitäten) sich überall in Deutschland befinden könnte. Und inmitten alte Streitigkeiten, die in Hass ausarteten, Neid, Tuscheleien, Zusammenhalt und irgendwie auch ein bisschen Idylle. Alteingesessene prallen auf Zugezogene, neue Generationen wenden sich dem traditionellen Unterleuten ab und streben der Moderne entgegen. Hinzu kommt eine Debatte um Windkrafträder, die die Dorfmitglieder spaltet. Ein Machtspiel beginnt, in dem jeder Einwohner nach eigenen Regeln spielt.

„So sah sie aus, die schöne neue Welt, die sich auf Dorf und Republik ausgebreitet hatte. Genormt, bespaßt und verwaltet – eine Bürgerherde.“ (S. 108)

Was mich an „Unterleuten“ am meisten fasziniert hat, waren wohl die (zahlreichen!), wunderbar gezeichneten Charaktere, zu denen ich nach den ersten 100 Seiten direkt eine Beziehung aufbauen konnte. Sie ließen sich teilweise in Schubladen stecken und entkamen diesen im nächsten Geschehen schon wieder. Das hat die Autorin meiner Meinung nach grandios gelöst.

Einige dieser Charaktere habe ich auch teilweise in meinem heimischen Dörflein wiedererkannt, was nicht einmal positiv zu werten ist. Denn wer einmal für längere Zeit in einem Dorf gewohnt hat weiß, dass die Einwohner eine eigene Mentalität entwickeln. Weit hergeholt ist „Unterleuten“ also keinesfalls!

Durch jeden Charakter lässt die Autorin uns das Geschehen und die Atmosphäre neu reflektieren, was ebenfalls absolut gelungen war.

Insgesamt mochte ich die kritischen Töne und das Interagieren der Figuren unglaublich, das wirtschaftliche „Drumherum“ habe ich so gut es ging überlesen.

Da die Figuren zwar lebensecht, aber nicht stereotyp waren, blieb die Handlung auch durchgehend spannend, wusste man doch nicht, wie Person x im nächsten Moment reagieren würde. Alles in Allem eine hervorragende Geschichte!

Übrigens hat die Autorin eigens für „Unterleuten“ eine Website entwickelt/entwickeln lassen, in der alle Charaktere und ihre Beziehungen zueinander aufgeführt sind. Dieses Gimmick rundet das so schon wahnsinnig authentisch erschiene „Unterleuten“ nochmals ab und lässt den Leser dort weiterhin verweilen.