Rezension

große Bilder und Emotionen, die Spannung bleibt jedoch nie außen vor

Rette mich vor dir - Tahereh Mafi

Rette mich vor dir
von Tahereh Mafi

Zitat:
„Wir sind Synonyme, aber nicht gleich.
Synonyme kennen sich so gut wie alte Kollegen, wie Freunde, die viel zusammen erlebt haben. Sie erzählen Geschichten aus ihrem Leben, erinnern sich an ihre gemeinsame Vergangenheit und vergessen dabei, dass sie zwar ähnlich, aber nicht gleich, dass sie trotz ähnlicher Eigenschaften nicht identisch sind. Denn ruhig ist nicht gleich still, entschieden ist nicht gleich entschlossen, und hell ist nicht gleich strahlend. Es kommt ganz darauf an, wie diese Wörter in einen Satz eingefügt werden.“
(S. 105)

Inhalt:
2 Wochen sind seit Juliettes Ankunft am Omega Point vergangen. Die Euphorie des ersten Tages ist düsteren Gefühlen gewichen. Juliette wird aufgrund ihrer Fähigkeiten isoliert. Aber Castle, der Chef der Untergrundbewegung, will etwas dagegen unternehmen, nicht zuletzt, um an Juliettes Kräfte zu kommen. Juliette soll von nun an mit Kenji trainieren.

Juliette verbringt kaum Zeit mit Adam, er ist stets mit Tests für Castle beschäftigt. Tests, die bestätigen sollen, dass auch er "anders" ist. Aber Juliette spürt, dass da noch mehr ist, dass Adam etwas vor ihr verbirgt. Und je mehr Juliette darüber herausfindet, desto mehr zerfällt ihre Welt. Wieder.
Und in ihrem Kopf formen sich Gedanken, die sie nicht haben darf, begleitet von Gefühlen, die sie verdrängen muss.

Meinung:
Als Einstimmung auf die Fortsetzung des so faszinierenden ersten Teils "Ich fürchte mich nicht" habe ich zur Zwischenepisode "Zerstöre mich" gegriffen. Nun muss ich unbedingt erwähnen, dass die Erkenntnisse aus dem E-Book aus Warners Sicht hier mit einfließen werden. Weil ich beinahe der festen Überzeugung bin, dass ich "Rette mich vor dir" anders gelesen hätte, wenn ich nicht schon vorher den Einblick in Warners Kern gehabt hätte. Meine Zweifel ihm gegenüber wären größer gewesen, mein Misstrauen nicht so schnell verzogen, mein innerer Zwang, Juliette zu drängen, nicht vorhanden gewesen.

Denn aufgrund von "Zerstöre mich" wusste ich bereits, was nach Juliettes Flucht passierte. Zumindest außerhalb von Omega Point. Bis zu dieser einen Schlüsselszene, die in diesem zweiten Band auf Seite 129ff. zu finden war.

Bis dahin stand "Rette mich vor dir" ganz im Zeichen von Juliettes Emotionen, oder besser gesagt, dem chaotischen Zustand in ihrem Inneren.
Juliette ist eine besondere Protagonistin. Nun weiß sie, dass sie nicht die einzige ist, die anders ist, aber dennoch fühlt sie sich ausgeschlossen. Schon nach dem ersten Tag im Omega Point, als sie noch herzlich empfangen wurde und freundlicher Neugierde begegnete, fällt sie wieder in ihr dunkles, melancholisches Loch. 
Alle sehen das Monster in ihr.
Sie haben Recht.
Sie ist ein Monster.
Daher suhlt sich Juliette lange in ihrem trüben Sumpf aus Gefühlen voller Minderwertigkeit. Ihr einziger Lichtblick: Adam. Doch auch diese so besondere Verbindung steht unter einem schlechten Stern. Juliettes emotionaler Zustand wird immer schlimmer, bis Kenji sie mit der Realität konfrontiert.

Kenji bekommt in "Rette mich vor dir" eine weit größere Rolle, als ich vermutet hätte. Er ist nicht nur für Juliette wichtig, sondern aufgrund seiner Fähigkeit ein tragender Pfeiler des Widerstandes. Seine lockeren Sprüche sorgen für kurze Verschnaufpausen vor den hinabziehenden Gedanken von Juliette. In gleichem Maße bekommen wir aber auch seine ernste Seite und Vergangenheit zu lesen.

Für die größte Überraschung aber sorgten Adam und Warner. Hier gönnte die Autorin weder Juliette noch ihren Lesern Vorhersehbarkeit. Trotz "Zerstöre mich" bekam ich noch einmal einen anderen Blick auf ihn, den ich alles andere als absehen konnte.

Dasselbe gilt für eine Facette von Adam. Auch wenn ich bereits Vermutungen hegte, hätte ich mit den Folgen niemals gerechnet. 

Trotz der Fokussierung auf Emotionen und Erlebnisse zum großen Teil nur einer Person, Juliette, schafft Tahereh Mafi, mit ihrem gewaltigen Schreibstil zu fesseln. Die besondere bildhafte Sprache, gepaart mit den bereits bekannten "Eigenarten" aus Teil 1 (durchgestrichene Wörter, nur Ziffern, niemals Zahlwörter), schaffen ein beinahe poetisches Kunstwerk, das seltsamerweise niemals kitschig wirkt, sondern stets glaubhaft und real. Das Layout mit Absätzen, wo eigentlich keine hingehören, zahlreiche Wortwiederholungen, beinahe in Endlosschleife, tun ihr Übriges und ich konnte mich nicht mehr von den Seiten lösen.

So entführte mich die Autorin auf eine Reise in die Psyche ihrer Protagonistin, ehe sie mir einen Blick über Juliette hinaus erlaubte. Einen Blick auf eine ebenso grandiose Idee mit vielen Facetten. Die Organisation des Widerstandes von Omega Point mit seinen ganzen Rebellen unterschiedlichster Art, konnte mich begeistern. 

Ihren Charakteren legt die Autorin dabei etliche Steine in den Weg, baut zahlreiche Hürden ein, für die man sie am liebsten erwürgen würde und steigert die Spannung so unentwegt. Doch nur auf exakt diesem einen Weg reifen ihre Charaktere zu dem heran, was sie am Ende sind, wachsen über sich hinaus, finden sich selbst.

Mit einem kleinen Blick auf diese Reifung endet diese zweite Episode aus Juliettes Leben und lässt mich gespannt auf den finalen Band zurück, der hoffentlich bald erscheinen wird.

Urteil:
Selbst der langwierige Einstieg in die Handlung aufgrund Juliettes emotionalen Debakels konnte mich nicht davon abhalten, von Tahereh Mafis Schreibstil gefangen genommen zu werden. "Rette mich vor dir" lebt von großen Bildern und Emotionen, die Spannung bleibt jedoch nie außen vor. Sehr sehr gute 4 Bücher für Juliette.

Eine absolute Leseempfehlung für Fans des ersten Teils. Wer auf ein Leseerlebnis der ganz besonderen Art wert legt, in gewaltigen Emotionen versinken und von fantastischen sprachlichen Bildern mitgerissen werden möchte, sollte einen Blick in den ersten Teil "Ich fürchte mich nicht" werfen, dann in „Zerstöre mich“ und auch „Rette mich vor dir“ nicht vergessen.

Die Serie:
1. Ich fürchte mich nicht
1.5 Zerstöre mich
2. Rette mich vor dir

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