Rezension

"Buchhändler sollten Staatsdiener sein!"

Das Haus der vergessenen Bücher - Christopher Morley

Das Haus der vergessenen Bücher
von Christopher Morley

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:

New York, um genauer zu sein Brooklyn, 1919, der erste Weltkrieg ist noch nicht ganz aus den Köpfen, da hungern die Menschen nach Zerstreuung. Diese können sie finden. Zum Beispiel in der kleinen, verrauchten Buchhandlung „in der es spukt“, mit Namen Parnassus. Inhaber ist Rober Mifflin, der sich selbst allerdings nicht als Buchverkäufer sieht, sondern eher als Arzt, der den Menschen, den Patienten hilft, die unter geistiger Unterernährung leiden, indem er ihnen Buchschätze angedeihen lässt. Er scheint genau zu wissen, was die Leute brauchen. Seinen kleinen, verwunschenen Laden beherrscht er und wird dabei von seiner resoluten Frau und seinem Hund, der sogar eine literarische Hundehütte besitzt, Bock, was die Kurzform für Boccacio ist.

So umsichtig der gute Roger auch ist, so stur ist er auch und so wundert es nicht, dass der junge, smarte Aubry Gilbert, der in der Werbebranche tätig ist, bei dem Buchhändler auf Granit beißt. Doch gibt er nicht auf. Was wohl eher seine Begründung in dem Auftauchen der bildschönen und klugen Hilfskraft Titania Chapman findet.

In dieses Idyll hinein verschwindet ein Buch. Und taucht wieder auf. Und verschwindet wieder. Ein sehr sehr mysteriöser Fall, dem sich der junge Gilbert mit Herzblut widmet, denn zwielichtige Gestalten scheinen es nicht ausschließlich auf Bücher abgesehen zu haben. Nein, es könnte auch gut das Leben der von ihm angebeteten Titania in Gefahr geraten.

Soweit die Fakten! Das alles schrie doch sehr nach einem

FALL FÜR DIE SOKO BUCH!

(hier bitte jetzt so ein Jingle wie bei dem A-Team vorstellen!)

Und so wurde unter dem Bande der Verschwiegenheit Kontakt aufgenommen zu einer äußerst gerissenen Verlagsmitarbeiterin im Atlantik-Verlag, die uns Mitgliedern dankenswerter Weise die hochbrisanten Fallakten in Kopie zukommen ließ

Mit Spannung erwartet wurde im Hause „Adlerauge“, wie mein Agentenname lautet nun dieses nach außen so leicht und lustig anmutende brisante Stück Literatur. Meine Assistenten Hanni und ihr (!) Assistent Klein-Filz-Wallee, den sie extra für diesen Fall und unseren Spezialauftrag, zu dem ich gleich noch komme, angeheuert hat, waren mindestens genauso aufgeregt wie ich.

Der Spezialauftrag

Jeder von uns Agenten in der SoKo war gehalten, sich einem bestimmten Thema oder besser einem bestimmten Fallbereich zu widmen. In einem geheimen, eiligst einberufenen Meeting soufflierte mein Bauchgefühl mir, dass ich mich für die Figur der Titania Chapman entscheiden solle. Aus mir bis dato unerfindlichen Gründen… Und so ist meine Darstellung der Ereignisse lang nicht das ganze Bild. Dieses erschließt sich erst, wenn man alle unsere Ergebnisse zusammen betrachtet.

Name: Titania Chapman

Alter: 19 Jahre

Status: Auszubildende, bildhübsch, wissbegierig

Und so ließ ich mich fallen, ließ die Zeitmaschine ihre Arbeit tun, landete im Jahre 1919, öffnete die Tür zur Buchhandlung in der es spukt und schritt durch wabernde Tabakschwaden durch Regale, die die Geister der enthaltenen Bücher für jeden frei ließen, die danach dürsteten.

Immer dabei: Mein SoKo-Buch, in dem ich meine Erkenntnisse festhalten wollte, ein Diktiergerät wäre aufgefallen, denn immerhin katapultiert mich dieser Fall fast 100 Jahre in die Vergangenheit! Und glaubt mir, dieser Fall machte viele viele Notizen notwendig! Wobei ich es irgendwann aufgab, Zitate des Roger Mifflin zu notieren, da das ganze Buch daraus zu bestehen scheint, aus kleinen süffisanten Weisheiten, die auf den ersten Blick ein Schmunzeln verursachen und auf den zweiten sehr nachdenklich machen und doch so viel Wahrheit in sich tragen.

Zunächst trat mein Zielobjekt doch noch nicht in Erscheinung. Aber ich konnte mir ein Bild der Situation machen, in die Titania, 19 Jahre jung, Tochter eines gutsituierten Unternehmers, der zudem mit Roger Mifflin im „Maiskolbenclub“ Mitglied ist, demnächst einziehen und eine Ausbildung beginnen soll. Zunächst fragt man sich wirklich, was hat ihr Vater sich nur dabei gedacht. Und es wird auch nicht besser, als ein ganz bestimmtes Buch verschwindet, wieder auftaucht, wieder verschwindet, ausgetauscht wird… Sehr seltsam alles. Und da soll die zarte, unbedarfte Titania zur Erbauung geschickt werden. Ich war zunächst wirklich gehalten, zu intervenieren, das konnte man doch nicht zulassen, also wirklich… Doch dann konnte ich, ganz heimlich und verstohlen, mir immer und immer mehr einen Einblick in das recht kuriose Leben und Wirken des Roger Mifflin und seiner Frau verschaffen, die soviel Herz und Liebe an den Tag legen und dass nicht nur für die literarischen Schätze, die sich in ihrer kleinen, urigen Buchhandlung befinden! Oh nein! Menschen werden bei ihnen mindestens genauso liebevoll aufgenommen. Ich habe es selbst erlebt!

Nicht nur mein Zielobjekt, Titania wurde von Mrs. und Mr. Mifflin wie ein eigenes Kind mit offenen Armen empfangen, nein, auch der junge Werbemann Aubry Gilbert, der junge Held, der sich unglaublich charmant-naiv und doch so kühn nicht nur in die Herzen der Leser stiehlt.

Als Titania dann die Bühne dieser unglaublichen Geschichte betritt, ist es, als seien alle Scheinwerfer, die man aufbieten kann, nur auf sie gerichtet. So eine strahlende, blühende Erscheinung… Auch ich war geblendet, habe sie in der gleichen Sekunde in mein Herz geschlossen und wollte nichts mehr, als sie schützen und hoffte inständig, dass ihr in diesem kleinen Haus dort nichts geschieht. Denn vergessen wir nicht, der Ursprung, dass wir uns dieses Falls überhaupt erst annahmen, ist ein Kriminalfall! Bücher verschwinden! Und vielleicht sind auch Menschenleben bedroht! Gar Titanias selbst!

Und so machte ich meinem Namen alle Ehre und verfolgte jeden der Schritte, die Titania durch das Haus der vergessenen Bücher, die eigentlich nicht gänzlich vergessen sind, wo doch Mr. Mifflin sie hütet, wie seine größten Schätze, getan hat und hoffe für die Bösewichte in diesem Fall, dass sie ihre Finger von der jungen Frau lassen.

Nun, ob es mir gelungen ist? Das ist leider leider bisher Top Secret, Ihr wisst schon, laufende Ermittlungen, nichts an die Presse geben und so… Ist immer das gleiche! Uns Ermittlern verpasst man gern einen Maulkorb…aber ich kann Euch was verraten! Mir ist zu Ohren gekommen, dass es nur so vor Kopien der Akten da draußen wimmelt! Vielleicht habt Ihr ja bei Euch in der Ecke auch so eine kleine, urige Buchhandlung…geht mal hin, fragt mal nach „Das Haus der vergessenen Bücher“… oder haltet die Augen offen. Vielleicht fährt ja auch morgen schon ein Bücherbus bei Euch durch die Straße und er hat in seinem Bauch ebenfalls eine der Akten…Wenn das so ist, greift zu!

Ich würde es als Kleinod bezeichnen, als Geschenk für uns bibliophile und ich wünsche mir, dass Roger Mifflins größter Wunsch, dass überall Parnassi fahren, irgendwann Wirklichkeit wird! Ich liebe diesen Gedanken!

Wie man sieht, ist diese Fallakte gefährlich! Man verliert sich recht schnell in den Zeilen. Das müssen die Geister sein. Die Geister, die in der Buchhandlung Parnassus umgehen und einen einlullen und ganz vergessen lassen, warum man eigentlich da war… Ich bin doch eigentlich eine Spezialagentin…